Youtube: Anderen beim Spielen zuzusehen ist sooo öde …

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Rollenspiel auf Youtube oder besser: All diese live gestreamten Rollenspielrunden mitsamt Outplaygeblubber, Pinkelpausen und Co. – wer guckt denn sowas? Eigentlich streamen Leute onair doch sowieso nur, um sich selbst in Szene zu setzen, oder? Um Inspiration, um Austausch, um das Teilen eigener Rollenspielerfahrungen mit anderen, um Live-Einblicke ins Nähkästchen und derlei mehr kann es doch dabei gar nicht gehen, richtig? Und schließlich: Zum Rollenspiel bringt man die Leute durch Rollenspiel, eben dadurch, dass sie LIVE dabei sind, aktiver Teil davon sind. Denn Rollenspiel ist interaktiv. Punkt.

An allen möglichen Ecken findet man irgendwo immer wieder den einen oder anderen, der mehr oder weniger vehement in diese Kerbe haut, der youtubende Rollenspieler belächelt, verlacht oder nutzt, um durch Klugscheißer- und Besserwisser-Kommentare oder auch nur durch reine Erhabenheit an und für sich an solche Themen anzuknüpfen. Selbstinszenierung, so lautet der immer wieder gern genutzte Schlagwortbegriff, sei das alles lediglich, Personenkult, Anstacheln zum Fanboytum blablabla.

Und du inszenierst dich also nicht?

Unter Inszenierung (von griechisch σκηνή, skene: zu deutsch eigentlich „Zelt“) versteht man das Einrichten und die öffentliche Zurschaustellung eines Werkes oder einer Sache.

Quelle: Wikipedia

Lustigerweise stammen all diese Kommentare, die man im Netz so finden kann, von Rollenspielern. Und nicht nur das, sie stammen von Rollenspielern, die im Internet, einer rein virtuellen Umgebung, so „nicht real“ wie auch Youtube selbst, aktiv sind. Es sind Rollenspieler, die aktiv in Communities schreiben und diskutieren – sich und ihre Meinung darüber selbst in Szene setzen. Und oft sind es Rollenspieler, die selbst Blogger sind, die also ein eigenes Blog betreiben, vielleicht sogar vernetzt in einer Art Webring, wie es beispielsweise rsp-blogs.de ist. Die sich also selbst in Szene setzen mit eigenen Beiträgen zu rollenspielerischen Themen aller Art, diese öffentlich ins Internet setzen, für jeden einsehbar, womöglich verlinkt auf verschiedenen Plattformen, damit andere auch die Gelegenheit haben, diese Dinge zu lesen. Es sind Rollenspieler, die ihre eigenen Kreationen, ob nun Bilder oder Abenteuer oder sonst was, bloggen, verlinken, posten. Und manchmal sind es sogar Rollenspieler, die selbst onair zu sehen sind oder zu sehen waren. Das fällt dann wahrscheinlich unter „ich habe es mal ausprobiert, denn man muss ja wissen, was man disst“, denn „ich war jung und brauchte die Kohle, die es dafür nicht gibt“ zählt da in der Regel nicht – kann man sich ja sogar quasi „live“ ansehen in diesen Fällen.

Ich weiß nicht, was diese Rollenspieler zu ihren Rants bringt, zu ihrer starken Abneigung gegen youtubende Rollenspieler, denn die Ähnlichkeiten, schaut man sich wie eben beispielhaft gezeigt einmal Blogs und Vlogs an, sind frappierend. Der Unterschied ist vor allem, dass Vlogs Gesichter zeigen, Mimik zeigen. Wo da der Nachteil liegt, ist mir schleierhaft.

Aber du weißt ja (besser), wovon du redest?

Interessant ist, dass ich in letzter Zeit oft feststellen durfte, dass die meisten Leute, die sich dazu eine (negative) Meinung gebildet haben, gar keine genauere Vorstellung von dem haben, was sie da kritisieren. Zwei Punkte werden dabei besonders oft ins Feld geführt:

1. Der Nerdpol. Diese unsägliche Rollenspiel-Community, die da auf einmal entstanden ist aus dem Nichts, und von der man anfangs löblich zu lesen fand, dass man sich da über das Medium Youtube an Neulinge wende und diese ans Hobby heranführen wolle. Das kippte rasch ins genaue Gegenteil der Wahrnehmung, und dann war nur noch zu lesen, dass dort ein paar Leute einen Personenkult um sich errichten und sich von ihren Fans feiern lassen, sich selbst als große Rollenspieler zeigen, jedoch einerseits im Rollenspielverständnis der 90er hängengeblieben seien, zum anderen auch nicht willens, dieses zu updaten, also kritikunfähig.

Die „Nerdpol-Rantwelle“ liegt mittlerweile ein volles Jahr zurück. Seither hat sich vieles verändert, was man natürlich nicht mitbekommt, wenn man nach einigen Wochen des Kennenlernens irgendwann 2013 in der Anfangsphase dieser Community „rückwärts“ wieder aus der Community raus ist, „Rollenspiele auf Youtube“ thematisch nur von weitem betrachtet oder sich da auf Grund von „Nerdpol-Erfahrungen“ auf den englischsprachigen Raum allein beschränkt (die haben natürlich viel mehr Action zu bieten, wie wir ja alle wissen …). Macht auch nichts. Macht aber was, wenn damit eine Meinungsbildung verknüpft ist, die man unbedingt unter die Leute bringen will (warum sonst sollte man immer wieder runterbeten, wie schlecht dieses Hillbilly-Selbstinszenierer-Rollenspiel so ist?).

Das heißt nicht, dass am Nerdpol alles supi und wunderbar und schnuckelig ist. Ist es woanders allerdings auch nicht. Denn das Rollenspiel-Eden gibt es nicht (auch wenn es ja mittlerweile ein Nerdvana gibt), weder am Nerdpol, noch sonst irgendwo, ob mit oder ohne Videos.

Fakt ist: Im Schnitt 2-4 Leute pro Woche melden sich dort pro Woche neu an und stellen sich auch vor. In mehr als 50% der Fälle folgert daraus eine Aktivität, die sehr oft Neueinsteiger und Wiedereinsteiger betrifft. Viele davon holen sich Infos für eigene Runden (am Tisch), viele spielen offair, immer wieder tauchen neue Gesichter jedoch auch onair in Streams auf.

Innerhalb eines Jahres hat sich der Nerdpol zu einer Plattform gemausert, die mittlerweile die Grenze von 1000 Mitgliedern geknackt hat. Natürlich sind viele davon nicht mehr aktiv oder nur noch sporadisch aktiv, viele einfach so stille Mitleser. Inhaltliche Diskussionen abseits von Spielergesuchen und ähnlichem sind eher selten und nie irgendwie „tiefschürfend“. Insgesamt ist es am Nerdpol sowieso (abseits des „Assoziationskette“-Forenspielchens) eher ruhig und auch die Admins dort melden sich abseits von eben technischem Kram schon fast das ganze Jahr über selten mal zu Wort.

Das bringt die Leute natürlich auch neben dem so beliebten Lästersport zur Nebendisziplin „totsagen“. Was dabei allerdings nicht außer acht gelassen werden sollte: Viele spontane oder auch verabredete Runden entstehen durch den allgemeinen Chat (wie auch erste Schritte zur Kontaktaufnahme generell), viel läuft über den Einzelchat oder PN, zum Beispiel supportet durch die – bei aller Grottentechnik – vorhandene „Freunde“-Funktion, viele sind mittlerweile (auch) über Skype und/oder G+ vernetzt, und so entstehen Runden eben auch oft mit „üblichen Verdächtigen“ (wovon es mittlerweile allerdings eine ganze Reihe gibt), die dann 1-2 Plätze für neue Leute offen halten beispielsweise. Nicht alles, was geschieht, steht auch im Nerdpol-Forum. Auch das ist also nicht anders als überall woanders auch.

2. „Dass diese Youtuber alle aufmerksamkeitsgeil sind, sieht man ja schon daran, wie diese Livestreams anfangen: „Hallo liebe Zuschauer! Wir sind live!““

Bislang reagierten die Leute alle ziemlich erstaunt, wenn sie erfahren, wie ein Hangout on air funktioniert. Man startet einen Hangout, ist dann aber eben nicht on air, sondern erst dann, wenn der Host einen bestimmten Button drückt (was man natürlich nur weiß, wenn man selbst solche Hangouts macht/hostet oder sich erkundigt). Es folgen einige Sekunden Verzögerung, bis dann beim Hoster eine kleine Grafik anzeigt: „live“. Aus diesem Grund herrscht bei den meisten Streams zu Beginn einige Sekunden Stille, und dieses „Hallo“ (was ich einfach höflich finde!) und dieses „wir sind live“ ist dann der Hinweis an alle Hangout-Teilnehmer, das alles ab sofort auf Youtube gestreamt wird.

Ganz simple Erklärung also, die schon so manchen zu überraschen wusste.

Video-Typen

Warum, wieso und weshalb sich nun wer wie inszeniert oder woher seine Meinung bezieht, ist im Grunde gar nicht so relevant. Viel relevanter ist die Annahme, Aussage beziehungsweise feste Überzeugung, dass Rollenspiele auf Youtube zu Passivität verdamme und keinen Menschen zum Rollenspiel bringe oder sonstwie inspiriere.

Das muss man wiederum aus verschiedenen Ansätzen betrachten.

Einmal gibt es nicht die Youtube-Videos. Wer sie alle über einen Kamm schert, macht es sich sehr einfach, hat sich mit dem Thema gar nicht oder kaum beschäftigt und/oder macht das zu Gunsten der Polemik bewusst. Was davon im Einzelfall zutreffen mag, weiß ich nicht, interessiert mich auch nicht.

Schwerpunkte von Rollenspielvideos im deutschsprachigen (!) Raum sind die folgenden:

1. Livestreams von Rollenspielrunden

2. Vlogs/Sabbelrunden

3. Vorstellung konkreter Tipps, Mechaniken, Systemkniffe etc.

4. Sonstiges (dazu gleich mehr)

5. Reviews

Diese Punkte würde ich von der Gewichtung her auch tatsächlich in dieser Reihenfolge anbringen.

Livestreams von Rollenspielrunden

Wer das auf egal welchen Kanälen verfolgt, stellt schnell fest, dass diese den Kern der deutschsprachigen Youtube-Rollenspieler bilden. Livestreams erreichen je nach System innerhalb kürzerer Zeit (Wochen bis einige Monate) Hunderte Klicks, manchmal auch den vierstelligen Bereich (VtM, CoC, DSA, PF sind da ganz oben). Das beantwortet damit die Frage, wer sich sowas denn nur ansieht, auf sehr objektive Weise, würde ich sagen.

Viele schauen nicht live, sondern später erst, viele ziehen sich auch einfach die Tonspur des Videos und nutzen das Ganze für sich als Hörbuch.

Natürlich variiert die Bandbreite extrem, sowohl hinsichtlich der Systeme, des Spielstils, der Unterhaltsamkeit und so weiter. Ist halt wie an den Tischen zu Hause. 😉

Und genau das soll auch so sein.

Vlogs/Sabbelrunden

Diese weisen noch viel mehr als Rollenspielrunden extreme Schwankungen auf. Die Tendenz ist hier bislang die zu langen (~1 Stunde oder länger) Sabbelstreams, eher mit mehreren/vielen Leuten, und diese sind auch aus meiner Sicht tatsächlich oft anstrengend, da sie keine bestimmten Themen verfolgen und/oder thematisch wild hin und her springen. Es gibt stundenlange Streams, in denen es um alles mögliche geht, nur nicht ums Rollenspiel; es gibt Einzel-Vlogs, die tatsächlich primär die eigene Person statt eines Rollenspielthemas in den Mittelpunkt rücken (wo also der Kritikpunkt der Inszenierung und des Heischens um Aufmerksamkeit durchaus zutreffend ist). In beiden Fällen gibt es aber auch thematisch an einem oder mehreren Themen fokussierte Streams und Ansätze zur zeitlichen Begrenzung.

Vorstellung konkreter Tipps, Mechaniken, Systemkniffe etc.

Hier gibt es im Raum recht wenige Videos, die exemplarisch eine Charaktererstellung zeigen, eine Kampfrunde simulieren, Regeln erklären usw. – aber es gibt sie. Es gibt auch Videos, die zeigen, wie man seinen Charakterbogen verstauen kann, wie man Rollenspielordner anlegen oder strukturieren könnte und derlei mehr.

Könnte mehr sein. Kann ja noch werden.

Reviews

Da ich zum oben vierten Punkt separat kommen möchte, zunächst zu den Reviews. Was es im englischsprachigen Youtube-Raum zuhauf gibt, ist im deutschsprachigen Bereich sehr mager. Tatsächlich ist es allerdings so, dass diese Einzelvorstellungen von Titeln und/oder Reviews generell sehr unbeliebt sind. Auch im Blogbereich werden solche Sachen nicht so gerne gelesen, und auch im Romanbereich, ob nun Blogger oder Booktuber, erreichen diese kaum Leute. Das liegt im Romanbereich oft in der Angst vor Spoilern begründet. Woran das im Rollenspielbereich liegt, weiß ich nicht.

Passiver Scheißdreck?

Damit kommen wir dann zum Punkt „Sonstiges“. Im Grunde bin ich auf den Aspekt des „Wer schaut sich sowas denn an?“ und „Das bringt doch NICHTS!“ bereits eingegangen.

Ich möchte aber an einigen Beispielen verdeutlichen, wozu diese so langweiligen Rollenspielstreams so führen können. Bei anderen Rollenspielern. Auch abseits des Rollenspiels.

Beispiel 1: Wechselbalg-Runde auf dem Kanal von Frank Voigt

Einbetten leider deaktiviert, darum hier nur der Link: Dennis Schwarz – Zeit der Wechselbälger

Feder Flügel – Glühwürmchennacht (Bildinhalte ergeben sich aus Inhalten des Streams):

Feder Flügel – The Keeper of the Plaza

Beispiel 2: Pathfinder-Runde „Rise of the Runelords“ auf dem Kanal von Meister Umbreon

Dennis Schwarz – Trailer zur Runde

Dennis Schwarz – Erinnerungen an Rogra (nach dem Tod eines SC)

Dennis Schwarz – TPK (muss man ja nix zu sagen, oder? 😉 )

Eloridas – Trailer (vom Spieler des just verstorbenen SC, den ich oben erwähnte)

Beispiel 3: Scion-Runde auf dem Kanal von Koali

Hier verlinke ich eine kurze Playlist.

Versucht wurde, schon im Vorfeld der mittlerweile gestarteten Kampagne ein bisschen was „rundherum“ zu machen.

Jeder Spieler hat für seinen Charakter vorab einen Text, quasi ein Präludium verfasst. Dieser Text wurde dann, teils mit Gastsprechern, aufgenommen und als Video-Podcast sozusagen für jeden der Charaktere online gestellt.

Zusätzlich entstand am Beispiel der Scion-Runde ein Video, das erklärt, wie man als totaler Laie Overlays für Hangouts basteln kann.

Und dann startete natürlich die Runde selbst.

Und sonst so?

Insgesamt fällt auf, dass sich in der deutschsprachigen Rollenspielercommunity in Deutschland im vergangenen Jahr eine ganze Menge getan hat. Es sind viele neue Leute hinzu gekommen, bei einigen hat sich der technische Aspekt in der Zeit stark verbessert, bei anderen der konzeptuelle Aspekt. Videos werden stärker untereinander vernetzt beziehungsweise stehen in Bezug zu anderen. Auch wenn dieser Teil noch in den Kinderschuhen steckt, gibt es zum Beispiel mittlerweile auch Rollenspielrunden, die mit unterschiedlichen SL und unterschiedlichen Spielern dasselbe Setting aus unterschiedlichen Blickwinkeln bespielen.

Ich halte das Ganze für ein ganz spannendes und durchaus inspirierendes und auch vernetzendes Thema, und ich bin mir sicher, dass sich im Verlauf von 1-2 Jahren da noch viel mehr kreatives und inhaltliches Potenzial zeigen wird. Es macht Spaß, das mitzuverfolgen und auch, Teil davon zu sein.

Es ist wirklich schade, dass viele davon wenig mitbekommen (wollen). Ich würde mich freuen, wenn es noch viel mehr neue Gesichter auf Youtube geben würde, noch viel mehr frischen Wind, frische Inhalte und mehr Dialoge. Und ich halte Vlogs und Co. nicht primär für Selbstinszenierung. Selbstredend ist das ein logischer Teil davon, so wie es eben auch beim Bloggen usw. ist. Wer will nicht, dass seine Texte gelesen werden, dass seine Meinung oder sein Podcast gehört wird, dass sein Video gesehen wird? Aber das war es dann auch schon.

Einerseits technische Mängel zu bekritteln, richtig gute Aufnahmequalität bei Ton und Bild zu fordern oder deren Abwesenheit als dilettantisch zu bekritteln, zugleich klare Strukturen, am besten mitsamt Intros, Outros, gefüllten Infoboxen mitsamt „Lesezeichen“ und derlei mehr, also eine klare Distanzierung vom Natürlichen, vom Persönlichen, vom Direkten hin zu einer Show, Entertainment, Inszenierung – und dann zugleich zu behaupten, youtubende Rollenspieler seien doch sowieso nur aufmerksamkeitsgeile Selbstinszenierer, das finde ich schon arg merkwürdig. Redet in drei Jahren eh keiner mehr drüber, aber traurig ist das schon.

Wie die Zeitzeugin schon vor längerem mal sagte: Seid mal nicht so versnobt!