Durch ein Video von Raldanash bin ich auf das Rollenspiel „Sleepy Hollow“ aufmerksam geworden. Netterweise hat er aufgrund meiner Nachfragen sogar noch ein zweites Video zu einem der Quellenbände des Spiels gemacht, und danach war für mich klar: Muss ich mir genauer anschauen, dieses „Sleepy Hollow„-Rollenspiel.
Hintergründe zum Spiel
Veröffentlicht wurde das Ganze via Crowdfunding von Kids in the Attic. $3,500 waren bis zum 1. Oktober 2024 angepeilt, letztlich kamen durch 709 Backer insgesamt $21,661 zustande, sodass auch einige Stretchgoals freigeschaltet wurden. Gleich Mitte Oktober 2024 waren die ersten Sachen dann auch schon tatsächlich via Drivethru erhältlich, also auch eine sehr zuverlässige Auslieferung des Rollenspiels.
Das Setting ist ca. 1810 in Sleepy Hollow (Neuengland) angesiedelt, etwa 20 Jahre nach dem Verschwinden des Ichabod Crane aus der Originalgeschichte. Der Fokus liegt auf Folk Horror, der sowohl düster, unheimlich, als auch mit einer ordentlichen Prise Grauen und Body Horror garniert auftreten und umgesetzt werden kann.
Das Grundregelwerk
Auf 180 Seiten findet sich alles, was man zum Spielen braucht.
Grundsätzlich finden sich hier sämtliche Regeln auf Basis der Year Zero-Engine einschließlich Charaktererschaffung, Settingbeschreibung und einem Startszenario.
Die Charaktererschaffung geht flott von der Hand. 8 Archetypen hält das Grundregelwerk parat, weitere kann man in Quellenbänden zusätzlich finden. Diese acht Archetypen umfassen (eigene Übersetzung) den wandernden Minnesänger, den Jäger, den Hessen im Ruhestand, Reverend, Lehrer, Barber, Schlachter, Dorfjungen, dabei allesamt – einschließlich der Bebilderung – nicht vollauf historisch „geschlechtszugeordnet“ dargestellt. Genau genommen sind die Typen Jäger, Schlachter und Dorfjunge mit Zeichnungen weiblicher Charaktere dargestellt.
Ungefähr 60 Seiten und damit ein Drittel des Buches befassen sich mit den Regeln des Spiels einschließlich Verfolgungsjagden.
Ganze 45 Seiten beschreiben den Ort Sleepy Hollow sowie angrenzende Dörfer im Detail. Das schließt einzelne wichtige Örtlichkeiten vom General Store bis hin zum Galgenhügel ein. Jede Beschreibung ist dabei aus Sicht des Neffen des verschwundenen Ichabod Crane (aus der Originalgeschichte von Washington Irving) als Tagebucheintrag verfasst und jeweils mit zwei möglichen Hooks fürs Spiel garniert.
Ungefähr ein Dutzend Seiten widmen sich im Anschluss der Reise und entsprechender Regeln hierfür, falls es die Charaktere doch einmal aus dem storybeladenen Sleepy Hollow herausführen sollte.
Etwa zehn Seiten bieten Tiere, Menschen und Übernatürliches als Gegner mitsamt Werteübersicht an, ein weiteres Dutzend Seiten liefern ein Start-Szenario für 4-6 Spielende, das mich jetzt allerdings nicht so vom Stuhl gehauen hat.
Eine abschließende kurze Vita und sozusagen Ehrerbietung an Washington Irving, dessen Werk (in Form einer Kurzgeschichte in diesem Fall) Inspiration für dieses Spiel und Setting darstellt, rundet das Buch ab.
Apropos Buch: Das Ganze hat übrigens ungewöhnlicherweise ein komplett quadratisches Format (was als PDF egal ist, als Print jedoch durchaus interessant).
Kreaturenband
„Ichabod Crane’s Field Guide to uncanny creatures“ ist das erste Stretchgoal gewesen, das freigeschaltet wurde.
Auf insgesamt 68 Seiten werden 30 Kreaturen beschrieben, die man gut ins Setting einbringen kann. Hierbei wechseln sich Klassiker wie Gespenster, verschiedene Hexen, Vogelscheuchen und Will-O‘-wisps ab mit ungewöhnlichen und andersweltlichen Kreaturen wie beispielsweise einer Kohlspinne, dem weinenden Squonk und korrumpierten Waldgeistern.
Die einzelnen Wesen sind farbig bebildert und bekommen neben vollständigen Werten jeweils eine Ingame-Introbeschreibung sowie jeweils einen Abschnitt mit Outgame-Beschreibung und meist auch eine Tabelle zum Auswürfeln besonderer Merkmale als Beschreibungshilfe und zur Erweiterung der Varianten.
Folk Magic
Bei $6000 wurde „Folk Magic: Spells and Charms of the Hollow“ freigeschaltet. Das habe ich tatsächlich bislang nicht, die Vorschau des Buches macht allerdings ziemlich klar, was drin ist.
Auf ebenfalls 68 Seiten wird dort beschrieben, welche Art der Magie es gibt, wie man sie erlernt, was man zur Umsetzung benötigt und was dabei raus kommt. Genau genommen umfasst die Spruchliste etwa 20 Seiten des gesamten Buches, also ein Drittel, und man bekommt auch Hinweise, wie man eigene Sprüche kreiert.
Es werden neue Talente und Archetypen eingebracht, und die letzten knapp 8 Seiten befassen sich dann mit Items, also Charms und Artefakten.
In der Vorschau ganz nett fand ich die Aufzählung der Magiearten und ihrer Herkünfte bzw. einer Erläuterung, aus welchem Mix sich die Volksmagie im Setting zusammensetzt. Hier findet sich dann auch die „Braucherei (BROW-ker-eye)“ mit deutschen Wurzeln, traditionell fokussiert auf Heilung, Abwehr des Bösen und dem Schutz von Individuen und Gemeinschaften
Szenarios: A Little Darkness
Im Stretchgoal, das bei $8000 erreicht wurde, finden sich 4 Szenarios. Erneut haben wir hier 68 Seiten vor uns, allerdings eher spärlich bebildert im Vergleich zu anderen Büchern der Reihe. Maps, Charakterzeichnungen oder Handouts sucht man hier leider so gut wie vergeblich.
Der Ton der Szenarios unterscheidet sich meiner Meinung nach deutlich von dem im Grundregelwerk und hat einen wirklich bösen Unterton mitsamt einigem an Body Horror. Ich selbst mag das und hab mich darüber eher gefreut. Für andere mag das eher enttäuschend und zu viel des Guten sein.
NSC-Beschreibungen: The Parish Ledger
Auf wiederum 68 Seiten findet man hier eine detaillierter Beschreibung aller Hauptcharaktere, die man in wenigen Schlagworten bereits im Grundregelwerk angegeben fand.
Die Beschreibung ist entsprechend umfangreicher und gut geeignet, einen besseren Eindruck (bzw. überhaupt einen Eindruck abseits der kurzen Droppings im Grundregelwerk) zu bekommen. Alle NSC haben hier auch eine kleine Portraitskizze bekommen. Außerdem wird zu jeder Person ein dunkles Geheimnis mitgeliefert, was sich für weitere Stories anbietet.
Dieser Band wurde mit $10000 im Crowdfunding freigeschaltet.
Session Zero und SL-Tipps: Faithful Companion
Auf etwa einem Dutzend Seiten widmet sich dieser Zusatzband ziemlich umfangreich der „Session Zero“ mitsamt möglicher Fragen, die es rund um Setting, Stimmung usw. zu beachten gilt. Inkludiert sind hierbei auch Hinweise zu Safety Tools und der Umgang mit Themen der damaligen Zeit (z.B. Sklaverei) bzw. Hinweise zur Etablierung einer Art alternativen Historie im Spiel, die mehr Diversität und Inklusion erlaubt.
Das klingt jetzt opulenter, als es tatsächlich beim Lesen ist. Ich fand die einzelnen Aspekte trotzdem gut (und schon allein, dass sie bedacht wurden), auch wenn sie ziemlich kompakt eingebracht sind.
Die ersten 20 Seiten allerdings sind mehr oder minder klassische SL-Tipps, hier spezifisch zu Aspekten rund um den Folk Horror. Dabei gibts zwar zu den einzelnen Aspekten auch immer ein Beispiel, aber die fand ich so beliebig und allgemein gehalten, dass ich sie nicht besonders sinnvoll fand, sondern mehr aufplusternd. Schade.
Der Rest widmet sich Möglichkeiten des Teambuildings, beispielsweise durch gemeinsame Motivation, Aufträge, Anknüpfungspunkte aus der Vergangenheit. Ähnliches gilt für den Bezug zu Sleepy Hollow selbst, zu dem einige Ideen mitgegeben werden.
Wie strukturiert man nun eine Geschichte, die man im Setting anbieten möchte? Auch dazu gibts Tipps und anschließend diverse Tabellen, auf denen sich einzelne Bausteine einer Geschichte zusammenwürfeln lassen.
Mit dem Totengräber, der Hebamme und dem Gentleman kommen drei neue Archetypen ins Spiel.
Der Rest des Buches widmet sich einem örtlichen Festival und dessen Beschreibung. Von Stimmung/Atmosphäre über diverse Spiele, denen sich Bevölkerung und SC widmen können, bis hin zur Beschreibung der Angebote aller möglichen Stände bis hin zu abschließenden Plot Hooks ist alles dabei, um dieses Festival spielerisch umzusetzen.
Optisch ist dieser Band eher mau. Textstruktur, Absätze, Kontrast und so weiter sind zwar gut, aber es gibt hier im Vergleich zu anderen Büchern doch wirklich nur sehr wenig Bebilderung, was es ein bisschen anstrengend macht.
Weiteres aus dem Crowdfunding?
Die Crowdfunding-Seite beschreibt noch einen wildnisorientierten Hexcrawl („Dark was the night, cold was the ground„), eine Handout-Kollektion mit Tagebucheinträgen, Tavernenmenüs, Angeboten fahrender Händler und so weiter namens „Writs & Ephema“ und ein Rezeptbuch mit dem Titel „Roots & Roasts„.
Von denen habe ich bislang allerdings noch nichts auf Drivethru entdecken können. Angekündigt waren diese für November/Dezember 2024.
Da geht noch was …
Was ich wiederum entdeckt habe, das ist „The Devil’s Nine Questions„, eine Umsetzung des Ganzen als Solo-Spiel. Ich hab bislang allerdings nur grob durchgescrollt und weder gelesen noch gespielt, darum kann ich euch dazu leider keine weiteren Infos geben.
Ebenfalls zu finden ist ein Weihnachts-Special namens „The Longest Night“ mit winterlichen Kulissen, Kreaturen und so weiter. Kann ich abseits dessen, dass dieses Special existiert, allerdings auch nichts zu sagen.
Eindrücke
Wir wollen es ganz bald austesten, sodass ich vorbereitend entsprechend intensiv gelesen habe. Dabei sind mir kaum Fehler/Schnitzer aufgefallen, das Englisch ist gut zu lesen, die Darstellung angenehm und gut strukturiert. Die Tagebucheinträge machen einem stellenweise das Lesen dann etwas schwerer, weil kein starker Kontrast zum Hintergrund besteht, alles andere ist deutlich augenfreundlicher.
Meiner Ansicht nach eignet sich das Spiel eher für Leute, die bereits ein bisschen Rollenspielerfahrung mitbringen und solche, die schon Berührung mit einem der YZE-Spiele hatten.
Neueinsteiger werden sich bei entsprechendem Interesse schon einfuchsen, aber es fehlen eben die klassischen „Was ist ein Rollenspiel?“ usw.-Erläuterungen, die die meisten Spiele sonst so mitbringen. Hinsichtlich der Regeln fehlen zudem jegliche Beispiele, um Abläufe zu verdeutlichen.
Gleichzeitig liefern Grundregelwerk und Zusatzbände unzählige Ideen für allerlei Storys, so dass man sicherlich Jahre mit diesen Inhalten locker füllen kann. Ich halte das Spiel dennoch nicht für alles über kurze Kampagnen hinaus besonders tauglich. Dafür ist die Thematik dann doch zu speziell und die Gefahr von Wiederholungen thematisch zu hoch. Das sieht man auch schon bei den detaillierten Beschreibungen der einzelnen Örtlichkeiten rund um Sleepy Hollow, denn schon da schleichen sich recht schnell Wiederholungen ein.
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