Gesinnungen … und die WoD, Teil 2

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Der erste Teil zu Gesinnungen bzw. Moral und Co. in Verbindung mit der World of Darkness befasste sich primär mit den verschiedenen Konzepten und damit assoziierten Mechaniken (Virtue/Vice, Mask/Dirge, Nature/Demeanor usw.). Der zweite Teil im Rahmen des Karnevals der Rollenspielblogs Februar 2016 befasst sich nun mit der Entwicklung des Konzepts der Menschlichkeit in den verschiedenen Editionen.

Menschen als spielbare Charaktere wurden von der oWoD kaum unterstützt, darum liegt der Fokus der Artikels zumindest im oWoD-Bereich stark auf Vampire, the Masquerade. Das relativiert sich aber im Textverlauf noch ein bisschen.

Am Anfang waren: die Tugenden

Schon wieder? Ja, aber bei Vampire, the Masquerade (VtM) hießen sie allgemein Virtues und umfassten drei verschiedene: Gewissen/Überzeugung, Selbstbeherrschung/Instinkt sowie Mut.

Mut brauchte man, um nicht Hals über Kopf vor Sonne und Co. zu fliehen, Selbstbeherrschung/Instinkt, um nicht in Raserei zu verfallen (was angesichts der Menschlichkeitsleiste, auf die ich gleich noch komme, eher nicht so gut wäre), und Gewissen/Überzeugung schließlich hat einen direkten Bezug zum sogenannten Pfad/Via.

Dieser Pfad war standardmäßig der der Menschlichkeit, umfasste die Stufen 1-10 und der unmodifizierte Startwert eines Charakters liegt bei 7.

Die sogenannte Hierarchie der Sünden listete zu jedem Punkt der Skala ein Vergehen auf, das als maßgebliche Schwelle galt. Unternimmt ein Charakter eine Handlung, die einen Verstoß gegen diese Skala darstellt, und zwar gleich oder niedriger seinem aktuellen Wert, so wird ein Gewissenswurf fällig um festzustellen, ob der Charakter in seiner Menschlichkeit sinkt oder – bei einem Patzer – sich gar noch eine Geistesstörung dadurch zuzieht.

Beispiel: Vampira mit Menschlichkeit 7 (Diebstahl) entwendet eine Brieftasche aus einem Büro. Ungeachtet dessen, ob oder wofür der Charakter diesen braucht, handelt es sich um Diebstahl und somit ist ein Gewissenswurf fällig.

Das Ganze produziert beinahe automatisch eine Abwärtsspirale, bei der zumindest die ersten Stufen ratzfatz dahin sind.

Stufe 6 wäre ein unbeabsichtigtes Töten (aus Hunger jemanden austrinken), Stufe 4 Töten im Affekt (Totschlag, Raserei).

Übrigens:  Was ich hier als Töten formuliert habe, findet sich je nach Regelwerk als „Übertritt“ bezeichnet, und zwar mit folgender Definition:

Ein Übertritt kann jede fragwürdige Handlung sein. (…) Ein Übertritt kann Mord, Körperverletzung, Vergewaltigung (was glauben Sie denn, was eine gewaltsame Entnahme von Blut darstellt?) oder jede andere Art von Vergehen sein, das der Erzähler für falsch hält.

Soviel dann auch zu dem Argument „Aber viele Menschen lieben es, wenn ein Vampir von ihnen trinkt und finden es orgiastisch! Ehrlich, Vampire sind voll toll!

Die Festlegung der Moral/Menschlichkeit als das, „das der Erzähler für falsch hält“ ist natürlich alles andere als greifbar und kann in beide Richtungen zu diversen Auswüchsen führen.

Gewürfelt wird übrigens mit maximal 5 Würfeln im Pool auch schon bei Stufe 7. Die Schwierigkeit ist wieder abhängig von Regelwerk/oWoD-Edition 6-8 und wird ebenfalls wieder als durch den Erzähler modifizierbar angegeben.

Und wozu braucht man das jetzt?

Kurz gesagt ist ein Charakter umso weniger bis gar nicht mehr spielbar, wenn er eins der beiden Extreme der Skala erreicht. Da die Abwärtsspirale gewollt und es ziemlich schwer (und auch wieder ziemlich wischiwaschi) ist, die Skala nach oben zu klettern, dürfte es also entsprechend eher das untere Ende der Skala sein, dem man hier so lang wie möglich aus dem Weg gehen möchte.

Umso menschlicher ein Vampir noch ist, desto fixer wacht er abends oder bei Gefahr auf, desto menschlicher wirkt er auch auf sein Umfeld (mechanisch: beeinflusst die Modifikatoren im Kontakt). desto weniger Zeit muss er in Starre verbringen. Und man darf nie mehr Würfel aus dem Tugendenpool würfeln, als man Menschlichkeit besitzt. Da diese aber ohnehin einen Maximalwert von 5 besitzen, hat man von Anfang an gleich mal ein bisschen Luft …

Menschlich ist öde?

Wem dieses Menschlichkeitsding zu blöd war oder mal wirklich richtig in einer vermeintlich coolen Sabbatrunde auf die Tube drücken wollte, dem standen im weiteren Verlauf noch ein paar Pfade mehr offen, die teils sogar eigene Splatbooks erhielten. Einen dieser Pfade habe ich vor längerem mal gebloggt (hier und hier), ansonsten hat man da sowas wie Weg des Tiers, Weg des Teufels, Weg des Himmels usw.

Grundsätzlich kann nach Gruppenabsprache jeder das nehmen, was er mag, wobei manche Pfade vom Grundsatz her für bestimmte Clans vorgesehen sind bzw. bei ihnen am ehesten Sinn ergeben.

nWoD 1.0

Die nWoD hat von Anfang an einen stärkeren Fokus auf die Unterstützung (auch) von sterblichen Charakteren gelegt, wodurch sich im Bereich „Menschlichkeit“ hier einiges verändert hat. Ein bisschen.

Grundsätzlich heißt die Skala hier Moral, besteht aber weiterhin aus 10 Punkten, man startet weiterhin bei 7, und die einzelnen Punkte sind im Grunde deckungsgleich mit den früheren. Was sich geändert hat ist allerdings, dass jeder Stufe nun ein fester Wert zwischen 2W10 und 5W10 zugeordnet wurde, mit denen die sogenannten Entartungswürfe durchgeführt werden. Liegt einfach daran, dass die vorgenannten Tugenden/Virtues im Spiel weggefallen sind.

Man würfelt beim Entartungswurf mit der Anzahl W10 entsprechend der Sünde. Beim obigen Beispiel des Diebstahls wären das 4W10, bei einem Mord 2W10. Die Schwierigkeit liegt generell bei 8. Schafft man den Wurf, geschieht nichts weiter, schlägt er hingegen fehl, sinkt man auf der Moralskala eine Stufe ab.

In letzterem Fall folgt dann noch ein Moralwurf, was ein weiterer Wurf auf die Moralskala ist. Hat der Diebstahl beispielsweise also für ein Absinken der Moral von 7 auf 6 gesorgt, so würfelt man nun mit der Anzahl W10, die für den neuen Wert angegeben ist. Im Beispiel wären das 3W10. Gelingt der Wurf (Schwierigkeit wie gesagt immer 8), passiert nichts weiter, misslingt er, zieht der Charakter sich eine Geistesstörung zu.

Die Abwärtsspirale ist hier also deutlich verschärft, allerdings sind Geistesstörungen in der nWoD auch etwas strukturierter aufgenommen worden. So erleidet ein Charakter immer erst eine milde Form, die sich dann im weiteren Verlauf verschlimmern kann (durch weiteren Moralverlust).

Bei den anderen Reihen wurde diese Mechanik der Menschlichkeit/Moral ebenfalls durchweg gleichwertig aufgenommen und geglättet. So verfügen die Charaktere aus Werwolf, the Forsaken über eine Harmony-Skala, die grundsätzlich dieselbe Mechanik verwendet, aber andere Inhalte den 10 Punkten zuordnet. Im Vergleich zu den x Pfaden der oWoD Vampire geht es hier allerdings nicht um eine irgendwie geartete Individualisierung, sondern dieselbe Skala gilt für alle Werwolf-Charaktere und spiegelt eben den Kampf um die Balance zwischen Menschsein und Wolfsein dar. Bei Changeling, the Lost sind es Aspekte zwischen Realität (Banalität) und Wahnsinn, die die Clarity-Skala bilden, Hunter nutzen wie andere Menschen auch die Moral, Vampire die Menschlichkeit und so weiter.

Mirrors und andere Splatbooks

Wohin die Reise gehen würde, warf das großartige „Mirrors“ auch in diesen Fällen rund um die Moral wieder auf. Ebenfalls noch Version 1.0 findet man dort alternative Systeme für das ganze Moralding als solches, Anpassungen an eher cthulhoide Spielrunden mittels „Sanity“ statt „Morality“ sowie weitere Ideen, um das Ganze individuell anzupassen. Letzteres findet sich später als ausgearbeitetes Regelgerüst bei den Breaking Points wieder.

Doch auch andere Splatbooks und Regelwerke der nWoD 1.0 boten so einiges, um das Thema Gesinnungen im Spiel zu modifizieren.

In „Dogs of War“ (Splatbook zum Spiel mit militärischen Charakteren und Hintergründen) beispielsweise ging es eher um die Gewissensfrage, um mögliche Trigger und Traumata, und auch das Grundregelwerk Hunter, the Vigil spricht eine alternative Moralskala, Trigger Points und Selbstverteidigung als speziellen Fall an.

nWoD 1.5

In den „God Machine Chronicles“ konstatierte man, dass Moral als Begriff eigentlich noch nie so wirklich treffend gewesen sei. Denn das könne man übergreifend ja gar nicht messen, und so handle es sich eher um eine Skala über die Funktionaliät des Charakters innerhalb der Gesellschaft (ach!?). In Folge wurde das Ganze ersetzt durch den Begriff Integrity, und fortan soll jeder Charakter bei der Charaktererschaffung zwingend fünf Fragen beantworten, aus deren Beantwortung der Erzähler dann die individuellen Breaking Points festlegt. Diese entsprechen auch wieder der bekannten 10er-Skala, sind aber eben individuell und sollen laut Regelwerk nunmehr die Fähigkeit des Charakters darstellen, auf Stress, übernatürliche Begegnungen und Traumata zu reagieren. Weiterhin gilt dies primär für menschliche Charaktere, derweil die übernatürlichen Wesen weiterhin andere Skalen haben.

Gewürfelt wird fortan mit Resolve + Composure (= Willenskraft), modifiziert um +2 bis -2 je nach Höhe der Integritätsstufe, und nochmals modifiziert nach Erzählerermessen, allerdings mit einer klaren Richtschnur. Selbstverteidigung gibt beispielsweise einen Bonus von 1, eine geliebte dritte Person zu schützen einen Bonus von 2, eine Tötung durch einen Unfall (z.B. Autounfall) ungeachtet der Unabsichtlichkeit jedoch einen Malus von 4, sodass die angestrebte Abwärtsspirale hier durchaus noch sichtbar ist. Tatsächlich gibt es nur einen Aspekt mit +2, zwei mit +1, zwei mit -1, sechs mit -2 und die Mali gehen runter bis auf -5.

Die Auswirkungen eines Integritätswurfes sind hier allerdings andere. Es gibt nur einen Wurf, und abhängig vom Ergebnis erhält der Charakter unterschiedliche conditions (ab 1.5 werden conditions ja groß geschrieben bei der WoD), bei einem Patzer einen beat (kann später als Erfahrungspunkt eingesetzt werden), bei einem spektakulären Erfolg sogar einen Willenskraftpunkt zurück.

Allerdings ist das Spiel eines Sterblichen auch nicht vorbei, wenn die Integrität futsch ist. Auch hier erhält der Charakter dann eine condition, die unter Umständen rückgängig zu machen ist. Gut, man ist erst mal seelen- und willenlos … aber irgendwas ist ja immer …

CofD

Erst in der neuesten Fassung wurden Übernatürliche mit einem weiteren Aspekt der Moraldarstellung ausgestattet: Touchstones. Von diesen wählt man einen bei der Charaktererschaffung aus und kann weitere (maximal 5, bei Vampire) als Vorzüge (Merits) gegen Erfahrungspunkte erwerben.

Die Touchstones haben je nach Subsystem (Vampire, Werwölfe usw.) eine etwas andere Bedeutung. Einmal sind sie das, was sie an das Leben erinnert (Vampire), einmal physische oder psychische Aspekte, die unerreichbar sind (Werwolf).

Mechanisch hingegen sind sie von Kleinigkeiten abgesehen gleich: Jeder Touchstone verleiht einen +2-Bonus auf einen Entartungswurf.

Nun scheint es schlau zu sein, so viele Touchstones wie möglich zu haben, oder? Lustigerweise arbeitet man damit durch die Hintertür wieder mit dem Aspekt, der der ganzen Sache zu Grunde liegt: möglichst menschlich/moralisch/integer zu sein. Clever, oder?

FAZIT

Die World of Darkness hat gerade hinsichtlich der Mechaniken zu „Gesinnungsthemen“ wie eben Menschlichkeit, Moral, Integrität und so weiter im Verlauf der Jahre und Jahrzehnte enorm viel herumgebastelt. Und obwohl sie doch ziemlich textlastig geworden sind, diese beiden Artikel, reißen sie das Thema innerhalb der Spielreihe doch immer noch lediglich an.

Der Fokus lag neben den Menschen hier schwer auf Vampire und noch ein kleines bisschen bei Werwolf, doch alle anderen Reihen haben natürlich ebenfalls ihre Besonderheiten, und die hier fokussierten Wesen im Detail auch noch mal einige mehr.

Bei Promethean, the Created ist es beispielsweise zentrales Thema, menschlich werden zu wollen. Wraith, the Oblivion hingegen hat faszinierende Ideen zu Ankern und auch zum Hin- und Hergerissensein.

Dass mein persönlicher Favorit des Ganzen etwa in der Mitte liegt (nWoD 1.0) habe ich im ersten Artikel ja bereits geschrieben. Warum? Weil das noch ein recht innovativer Baukasten ohne zuviel Drumrum war, der sich logisch an die jeweiligen Gruppen an- und einpassen ließ. Bei der ganzen Spielerei vonwegen „da könnte man doch noch … da ist uns noch was eingefallen … und jetzt noch mit conditions und beats“ ist für meinen Geschmack ein bisschen viel verloren gegangen. Unter anderem natürlich viel meines Geldes bei den doch zuletzt eher schnellen Editionswechseln, aber eben auch Flair und das zwischendurch mal halbwegs Genormte durch alle Subsettings hinweg. Ich habe den Eindruck, dass zuletzt wieder alles ein wenig zerfaserter wurde, und dass es mehr um das Einbringen von neuen Begriffen und Mechaniken ging als um die Frage, wie diese sinnvoll und (aus)wirkungsvoll ins Spiel zu übertragen sind.