Ich wollte bloß ein Zimmer …

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Meine Kriegerin segnete niemals das Zeitliche. Sie betrat versehentlich in der 7. Stufe ein Dimensionstor und die Charaktere hatten keine Idee, wie sie sie wiederfinden sollten – mit der Konsequenz, dass mein Charakter schlicht “weg” war.

Diese Geschichte lief ganz entspannt unter “ist so”, was dazu führte, dass ich einen neuen Charakter erstellte. Dunjascha, aufsässige Händlerstochter aus dem Bornland, die jetzt nicht allzu viel konnte. Wie es dazu kam, dass sie sich der Gruppe anschloss, weiß ich gar nicht mehr. Wird gemäß unseres damaligen Spielstils aber irgendeinen sinnvollen Grund gehabt haben.

An einer Stelle blieb uns nichts übrig, als die Zimmer eines Gasthauses untereinander aufzuteilen. Ganz soviel war nicht mehr frei, für mondäne Einzelzimmer fehlte uns das Geld, es blieben aber zumindest ein paar Doppelzimmer. Aus irgendeinem Grund landete mein Charakter mit dem Novadi in einem – wir waren beide wenig begeistert davon.

Wenig begeistert heißt: Dunjascha und dieser Novadi ließen wenige Gelegenheiten aus, sich anzuzicken, da sie grundsätzlich verschiedene Ansichten zu so ziemlich allem hatten. Die Spieler dahinter waren mindestens genauso wenig begeistert, denn Spieler des Novadi war der bereits erwähnte Ätztyp. Er und ich hatten quasi OT perfekt aufeinander abgestimmte Charaktere, denn wir ließen auch abseits des Spiels keine Gelegenheit aus, dem anderen einen verbalen Seitenhieb zu verpassen. Antipathie schrieben wir beide ziemlich groß, was uns betraf.

Den Charakteren blieb aber nun mal wenig anderes über beziehungsweise nichts, wenn sie nicht auf der Straße nächtigen wollten. Beide Betreffenden befanden natürlich, dass der jeweils andere genau dies tun sollte, aber das führte zu nichts. So saßen alle Charaktere abends noch gemeinsam zusammen, plauschten und lachten, tranken dazu irgendwas Alkoholisches, derweil sich meine Norbardin und der Novadi beide (!) die Kante gaben ob der bevorstehenden Nacht und der daraus resultierenden schlechten Laune.

Und dann, dann geschah Folgendes: Der Spielleiter, pardon: der Meister natürlich, beschloss, dass ein Zufallswurf angebracht sei. Alkoholisiert, ein Zimmer, quasi sogar ein Bett, lange Reisen ganz allein … er schlug also vor, bei einer 18-20 hätten unsere Charaktere in der Nacht Sex. Wir griffen den Vorschlag sogar auf, argumentieren unsererseits mit Alkohol, extrem unterschiedlichen Einstellungen und der bestehenden generellen Antipathie und handelten ihn auf eine 20 herunter. Wann würfelte man schon mal eine 20? Also war die Idee witzig, würde unseren Meister glücklich machen, und Folgen hätte sie sowieso nicht. – Und natürlich würfelte der Meister daraufhin eine 20.

Wir waren entsetzt. Und zwar ziemlich ernsthaft. Damit hatten wir nicht gerechnet. Und jetzt?

Der Ätz-Spieler fand als Erster seine Sprache wieder. Also sein Charakter habe sich nun betrunken, habe neben einer Frau genächtigt, habe mit einer Frau genächtigt … und langsam dämmerte ihm die Katastrophe in ihrem gesamten Ausmaß. Die Regeln besagten: kein Alkohol, und auch keine Frauen, schon gar nicht solche wie Dunjascha. Dass er überhaupt mit ihr sprach, wenn auch nur dann, wenn er sich in irgendeiner Form ansatzweise provoziert sah (was eigentlich immer der Fall war), war ja schon grenzwertig, aber jetzt diese Geschichte!?

Derweil Dunjascha friedlich weiter ihren mehrfachen Rausch ausschlief, tat der Novadi, was ihm als erstes in den Sinn kam: Er betete. Er bat um Vergebung, gelobte Besserung … das volle Programm. Und er bat um ein Zeichen, welche Buße er tun solle. Er bekam auch eines. Das Unglück nahm seinen Lauf.

Als Dunjascha erwachte, verkündete er ihr die Lösung des Problems: Sie würden heiraten, jawohl! Dunjascha reagierte so, wie es bei diesem Antrag angemessen war: Sie zeigte ihm einen Vogel.

Es folgten sicherlich zwei Stunden Inplay-Diskussionen über diese Idee. Das Ganze wurde ausgiebig erörtert, mit den Gefährten besprochen und überhaupt. Auf der Outplay-Ebene war der Meister zufrieden, weil er jetzt die Möglichkeit gefunden hatte, den Ätz-Spieler und mich in lange Dialoge und eine Verknüpfung zueinander zu verwickeln, alle Mitspieler amüsierten sich königlich über die Entwicklung des Ganzen und ließen keine Möglichkeit aus, uns auch mit Inplay-Logik in diese Richtung zu schubsen und sämtliche sonstige Argumente über Bord zu werfen. Der Ätz-Spieler ging völlig in seinem Rollenspiel auf und erklärte diese Hochzeit zum noch alleinig möglichen Weg, seine Seele noch zu retten – und ich saß da und dachte, ich spinne.

Letztlich entschied ich mich wie der Ätz-Spieler für das Spiel statt für die Realität. Nach etlichen Irrungen und Wirrungen, die Abenteuer für sich waren und hier zu weit führen würden, heirateten die beiden tatsächlich. Als der Meister nach dieser Geschichte breit grinsend fragte, ob er auf Schwangerschaft mal einen W20 werfen dürfte, zuckten wir beide nur mit den Schultern. Darauf, ganz im Ernst, kam es jetzt auch nicht mehr an.

Das Ganze endete mit einer Ehe, aus der drei Kinder hervor gingen. Zwei von ihnen wurden noch ganz klein einmal entführt und weckten in beiden Elternteilen regelrechte Berserker-Ambitionen … bei der Errettung waren die anderen darum kaum beteiligt und weder Novadi noch Norbarde ließen bei dem damit verbundenen Dungeon auch nur einen Stein auf dem anderen.

Da Vater-Mutter-Kind nun aber auch nicht zentraler Bestandteil des Spiels sein sollte, überlegten wir uns etwas später ein paar Dinge, um die Kinder sinnvoll unterzubringen und dennoch weiterhin beide auf Abenteuer ausziehen zu können. Irgendwann sehr viel später waren beide Charaktere bei der Vermählung der gemeinsamen Tochter dabei, berichteten wir stolz von unserem Pferde züchtenden Sohn und betrauerten den Verlust der zweiten Tochter, die nie das Erwachsenenalter erreichte.

Nun mag man die gesamte Aktion und Entwicklung recht blöde finden, aber unser “Meister” hatte damals mit seiner Idee – ziemlich sicher ohne eine tatsächliche Ahnung davon – einen grandiosen Einfall. Es gab nur eine einzige Sache, die den Ätz-Spieler und meine Wenigkeit miteinander überhaupt verband: Wir spielten leidenschaftlich gern. So leidenschaftlich gern, dass wir beide uns auf diese ganzen (bekloppten) Konsequenzen eingelassen haben. Unsere Charaktere und deren Erleben war wichtiger als unsere Antipathie, und beide zwangen wir uns ohne Absprache dazu, entsprechend zu handeln. Das führte dazu, dass die Charaktere wirklich näher rückten, sich im Verlauf vieler, vieler Spielabende und so einiger Inplay-Jahre dann tatsächlich auch abseits von Notwendigkeiten nahe kamen. Die Charaktere lernten, sich Zugeständnisse zu machen, Kompromisse zu schließen, einen gemeinsamen Weg zu gehen und dem anderen loyal zur Seite zu stehen.

Und wir, ihre Spieler, lernten mit der Zeit, dass wir immerhin etwas gemeinsam hatten, und dass uns beiden das Spiel sehr wichtig war. Daraufhin nahmen wir Rücksicht aufeinander, kamen auch outplay öfter ins Gespräch und stellten tatsächlich fest: So ätzend war der andere eigentlich gar nicht. Wir haben irgendwann darüber gesprochen, warum wir uns nicht mögen. Beide waren wir der Überzeugung, der jeweils andere habe mit blöden Sprüchen in Richtung des anderen irgendwann angefangen. Und beide waren wir uns einer solchen Schuld nicht bewusst. Geklärt haben wir nie, wer “angefangen” hat, Freunde sind wir auch nie geworden. Aber wir waren nett zueinander und mochten uns irgendwie dann doch ganz gut leiden – und auf das gemeinsame Spielen haben wir uns seit damals beide immer gefreut.

Dabei wollten wir beide eigentlich nur ein Zimmer …