Allesfressende Hirschkäfer

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Es gab also eine Welt abseits von DSA … und ich war bereit, sie zu betreten!

Entsprechend aufgeregt fand ich mich also wenige Tage später bei besagtem Andreas ein, um einen Charakter zu erstellen und mein erstes Nicht-Solo-DSA-Abenteuer zu erleben. Dieser Andreas redete und redete und redete und redete … und mir rauchte der Kopf von Rassen, Klassen und Gedöns. Ein W4!? Das erschien mir als W20- und W6-Würflerin mehr als suspekt. Und dann sollte man Klassen kombinieren können, na sowas. Also: Andreas redete, der mich rekrutierende Gleichaltrige redete auch. Zwischendurch wurde daraus eine Diskussion. Das sei alles so und so. Nein, eigentlich anders. Und dann müsse man bedenken … ich verstand kein Wort von dieser Fachsimpelei.

Nun gut, also ich sollte mir was aussuchen. Aber wir würden dann einen Charakter gleich auf Stufe 4 (?) steigern, weil Stufe 1-3 langweilig zu spielen sei, man da nix könne und überhaupt. Mir kam das wie Mogelei vor, so wie beim Soloabenteuer einfach einen Kampf auszulassen und direkt zum nächsten Abschnitt zu wechseln. Ich beugte mich aber natürlich den Erfordernissen, und so entstand mein Halbling Kämpfer/Dieb. Das mit den Werten ging recht fix, diese Einkauferei dauerte schon etwas länger. Irgendwann jedoch: Fertig – meine AD&D-Heldin!

Und so beschrieb Andreas, wie ich also auf dem Weg sei von Irgendwo nach Sonstwo. Nichts Spannendes geschah, und so baute ich abends mein Zelt auf und legte mich schließlich schlafen. Gerade noch eben rechtzeitig erwachte ich, um zu bemerken, dass ich angegriffen wurde. Nicht genau ich, vielmehr mein Zelt … einige Riesenhirschkäfer hatten zum Angriff geblasen und fraßen kurzerhand mein Zelt und all meine Habe einfach auf. Ich hatte nicht mal mehr mein Mini-Schwert, um mich zu verteidigen. Was für ein Glück, dass da gerade zufällig ein Magier des Nachts des Weges kam, der mir helfen und hinter dem ich mich verstecken konnte. Das war dann der Charakter meines Mitspielers.

Es machte *zisch*, es machte *bumm*, und dann waren diese Käfer Geschichte. Genauso, wie mein hart ershopptes Zelt und Zeug. Toll.

Ich war schrecklich enttäuscht von dieser Geschichte, dabei war den beiden offenbar wirklich daran gelegen, mich zu begeistern. Aber warum machte man dann so einen Murks? Vertrauensvoll lieh Andreas mir einen dicken Packen Regelwerke und ich nahm sie mit nach Hause, fest entschlossen, sie umfassend zu studieren. Vermutlich hatte ich das Spiel nur noch nicht richtig verstanden. Genau, so würde es sein.

Tatsächlich nutzte ich die Gelegenheit zu eingehender Lektüre, aber der Funke sprang nicht über. Diese Bücher waren dick und hübsch, keine schlichten DSA-Hefte, aber ihnen wohnte einfach nicht derselbe Zauber inne, den ich bei DSA immer gespürt hatte. Alles erschien mir so nüchtern und so komplex. Unschön.

Dennoch: Ich wagte mich zu einem zweiten Spielabend bei einem befreundeten Paar der beiden, wohl der Rest der üblichen AD&D-Truppe. Ich betrat eine Wohnung voller Regale. Staunend und mit nicht nur sprichwörtlich offenem Mund sah ich auf etliche Meter AD&D-Bücher, Romane zu AD&D, Romane ganz generell aus dem Fantasy-Bereich, alles ordentlich in Reih und Glied. Wahnsinn! Es stellte sich heraus, dass ich mich in einer wahren Nerdstube befand. Er war einfach “addicted-to-roleplay”, sie war dies ebenfalls, zusätzlich aber Germanistikstudentin und, wenn ich mich richtig erinnere, studierte sie auch Geschichte. Ich kann mich noch erinnern, dass ich sie ganz nett fand, ihn hingegen irgendwie schräg. Aber das war im Grunde auch egal, denn die drei Jungs waren zwischendrin immer mal wieder in Regeldiskussionen und ähnlichem verstrickt, derweil ich mich mit dem Mädel über Bücher unterhielt.

Doch natürlich wurde auch gespielt. Magier und Kämpfer/Dieb trafen auf Weiß-ich-nicht-mehr, und gemeinsam landeten wir in irgendeinem finsteren Verlies. Eigentlich lief ich die ganze Zeit nur hinterher. Einmal waren die anderen Charaktere etwas hochstufiger als der meine, zum anderen hatte ich bis zur Mitte des Abends sowieso keine Waffe (hatten ja die Käfer gefressen – eine neue wurde mir aus einer der Verlieskisten schließlich feierlich von den anderen Charakteren überreicht), und zu guter letzt hatte mich meine erste Spielerfahrung schnell davon abgebracht, irgendwas einfach zu versuchen. Offenbar war das ganze Umfeld viel zu gefährlich, als dass man einfach mal so irgendwas machen konnte.

Man kann es auch anders formulieren: Ich schwieg einen Großteil des Abends hindurch und fühlte mich unsicher und komisch.

Nach diesem Abend fuhr ich eine Weile später nochmals zu Andreas, um ihm seine Bücher zurück zu geben. Ich teilte ihm mit, dass ich mich sehr über die Begegnung und Runde gefreut habe, aber eigentlich sowieso keine Zeit hätte, also sehe man sich halt irgendwann mal … das war auch nur so halb gemogelt. Zu just diesem Zeitpunkt hatte ich schulisch tatsächlich so einiges zu tun, mir fehlte aber auch die Zeit, mich unzählige Stunden in diesen Büchern zu vergraben, bis ich irgendwie sinnvoll mitspielen können würde. Und Lust dazu hatte ich natürlich auch nicht. Letzteres hab ich beim Abschied nur ausgelassen zu erwähnen.

Frustriert verabschiedete ich mich von diesem AD&D, doch ich versteckte mich nicht direkt wieder in DSA-Heften. Ich wollte unbedingt mal in einen der beiden Rollenspielläden in der Stadt, von denen ich erfahren hatte. Wie viele Spiele es da wohl so gab? Ich hatte keine Vorstellung, wie sich ein Laden halten konnte, der bloß ein paar Kästen und Bücher zu vielleicht geschätzt 6-8 Spielen verkaufte … aber gut, zwei kannte ich jetzt, ein drittes war auf jeden Fall dieses Spiel, das “nix für Mädchen” war. Das wollte ich doch erst mal sehen.