Hunger & Durst im Rollenspiel

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Neulich unterhielt ich mich mit jemandem über menschliche Bedürfnisse im Rollenspiel, womit ich jetzt nicht diese Holzhütten mit eingeritztem Herzchen auf der Tür meine, sondern solche Dinge wie Hunger, Durst, Schlaf, Suchtbefriedigung und derlei mehr.

Grundsätzlich stellt sich natürlich die Frage, wie detailliert es denn sein darf und soll. Ich kann mich noch gut an frühe DSA-Sessions erinnern, in denen wir akribisch Tragkraft und entsprechend das Gewicht von jedem ollen Stück Schwarzbrot festgehalten hatten. Das ist für mich etwas, das ich mir heute gar nicht mehr vorstellen kann, aber das mögen andere anders sehen.

Im den Artikel auslösenden Fall war es nun so, dass das Regelgerüst einer postapokalyptischen Zombie-Survival-Runde (AFMBE) ein bisschen angezogen werden sollte. Es sollte also realistischer werden, damit zwangsläufig auch ein bisschen bedrohlicher, denn postapokalyptisch bestellt man nun mal nicht mehr eben eine Pizza oder geht zur Döner- oder Gyrosbude an der Ecke, logisch. Das halte ich für eine gute Sache, denn ich glaube, dass die begrenzten Ressourcen bei AFMBE einen definitiv relevanten Faktor bei der möglichen Horrorkomponente des Ganzen ausmachen.

Festgelegt wurde von der SL dieser Runde nun ein pauschaler Wert für die täglich notwendige Kalorien- sowie Getränkezufuhr, um eben diesen Punkt genauer abzubilden. Richtwert dabei bilden 1900kcal pro Tag sowie 3l Flüssigkeit, wobei Softdrinks wie Cola nur zur Hälfte zählen. Nun erwischen mich gerade diese Punkte wahrscheinlich genau auf dem richtigen oder falschen Fuß, denn als Krankenschwester und Dozentin unter anderem für Ernährungslehre und Gesundheitsförderung betrifft das Steckenpferde von mir, mit denen ich wirklich in so ziemlich jedem entsprechenden Kurs sowie im Stationsalltag jongliere.

Realistischer täglicher Bedarf und welche Unterschiede sich daraus ergeben

Es ist so, dass man den täglichen Bedarf ziemlich leicht überschlagen kann, auch ohne ins Detail zu gehen. Hierbei gelten 30ml pro Kilo Körpergewicht an notwendiger Trinkmenge sowie 24kcal pro Kilo Körpergewicht an notwendiger Kalorienzufuhr. Bestimmte Bedarfsänderungen durch Umgebeungshitze, Infekte, Anstrengungen und derlei mehr sind dabei natürlich nicht berücksichtigt, ebenso kein eventueller Wunsch nach Zu- oder Abnahme. Aber es soll ja auch simpel und handhabbar sein, also reichen diese überschlagenen Grundwerte völlig aus. Auch wenn lange Zeit anderes propagiert wurde, ist es unerheblich, aus welcher Quelle die Flüssigkeiten kommen. Ob nun Leitungswasser, Cola, Bier oder Kaffee: Flüssigkeit ist Flüssigkeit. Dass es gesünder ist, Wasser und Tee zu trinken als Softdrinks, Kaffee und Alkohol, ist unbestritten, hat aber nichts mit der Flüssigkeitszufuhr zu tun, sondern etwas mit dem mitgelieferten Energiegehalt, Kristallzucker, Koffein, Alkohol und so weiter. Das nur am Rande.

Nun nehmen wir mal an, dass die Gruppe über den Hünen Holger verfügt, der bei seinen 2m Körpergröße zugleich eine ziemliche Kante darstellt und neben dem man die kleine Kathi kaum noch wahrnimmt. Der Holger bringt nun etwa 100kg auf die Waage, weil er ja noch einiges an Muskeln mit sich herum trägt, während es die kleine Kathi, die auch noch etwas schmächtig ist und noch nie eine Sportskanone war, es vielleicht auf 60kg bringt. Damit hätte sie bei Heidi Klums GNTM wohl schon keine Chancen mehr, aber macht nix, denn dafür wäre Kathi eh immer schon zu klein gewesen. Der Holger, der braucht nach dieser Rechnung nun also täglich 2400kcal (und viel Eiweiß wegen der Muskeln, gell!) und 3l Flüssigkeit, während Kathi hingegen mit gut 1400kcal und 1,8l Flüssigkeit gut zu Rande kommt.

Das macht mal eben einen Unterschied von täglich 1000kcal und 1,2l Flüssigkeit – das finde ich durchaus erwähnenswert, auch wenn sich nun nicht immer ausgerechnet Hünen und Minis gegenüber stehen. Ich gehe mal davon aus, dass die Charaktere grundsätzlich ausgewogen erstellt wurden. Hüne Holger ist also der Riese mit dem kräftigen Rumms, während die kleine Kathi vermutlich eher die Wendige ist, die damit verschlossene Türen öffnet, auf Martial Arts setzt oder – ganz anders – super im Verhandeln ist und damit Hüne Holger gleich mal mitversorgen kann. Wie auch immer, so lange keine Vor-/Nachteile zum Zuge kommen, haben beide dieselben Grundvoraussetzungen, und diese werden durch pauschale Bedürfnisse in Bezug auf Nahrung und Getränke nochmals gespiegelt. Das ist in Ordnung.

Der Grund, solche Faktoren mitsamt entsprechender Berechnungen ins Spiel zu bringen ist ja aber nun im Hintergrund mal der, dass es realistischer werden soll. Und realistisch gesehen, Formel hin oder her, ist es nun mal so, dass Kathi weniger zum Überleben braucht als Holger. Sollte oder müsste man das dann nicht ebenso spiegeln?

Energie- und Flüssigkeitsbedarf mal spielrelevant

Ich finde, gerade in so einer postapokalyptischen Story bieten Hunger und Durst doch sogar Aufhänger, die man einbringen kann und die dann zum Selbstläufer werden können. Holger dürfte nämlich – je nach Grundausstattung und Mobilität – ungeachtet seiner physischen Fertigkeiten tatsächlich auf jemanden wie Kathi angewiesen sein, die sich mal eben an einer Regenrinne entlang in ein Haus schmuggelt, die Zombie-Lage dort checkt, danach die Vorräte und dem guten Holger dann von innen die Tür öffnet. Oder aber sie stellt fest, dass sich in dem Haus schon die unliebsamen wandelnden Toten eingenistet haben und tritt den Rückweg an. Sie geht auf Holger zu und sagt: “Tja, da musst du wohl erst mal aufräumen, bevor wir an die Fressalien kommen.” Und schon gibt es eine Aufgabe, die beide gemeinsam lösen können.

Oder wie sieht es denn aus mit der Getränkeversorgung? Softdrinks dürften kurz nach Eintreten der Apokalypse noch in Hülle und Fülle vorhanden sein, muss man hingegen Wasser abkochen, wird es schon kniffliger. Da sind solche Hunger- und Durstregeln eh nicht allzu schlecht. “Hey, das siedet doch jetzt schon ne halbe Stunde vor sich hin. Bist du bekloppt? Mehr als die Hälfte davon ist ja schon weg!”

Realismus im Detail

Wo ich hier was von Realismus schreibe und zugleich mit grundsätzlichen Faustformeln um mich werfe: Das kann man natürlich noch weiter treiben. 🙂

Bei moderater Anstrengung würde dann etwa 1,2kcal pro Kilo Körpergewicht gelten, bei steigender Anstrengung 1,4kcal. Kann man übrigens auch wunderbar koppeln mit Erreichen der maximalen Tragkraft oder mit dem Überschreiten von selbiger. Und Schlaf könnte man integrieren, indem man dafür einen Wert von 0,8kcal ansetzt. Ernährung ist halt auch was für Mathefreunde *g*.

Holger schläft also beispielsweise 6 Stunden, hält ebenso lange sitzend Wache für die Gruppe und findet nachmittags ein noch halbwegs lauschiges Plätzchen für eine 3-stündige Mittagspause. Von den restlichen 9 Stunden verbringt er 6 Stunden herumlaufend mit moderatem Gepäck, weil dem Wagen der Sprit ausgegangen und man nun zu Fuß unterwegs ist. Insgesamt eine Stunde geht drauf für Sprints vor Zombies und einem kleinen kämpferischen Intermezzo mit selbigen. Dabei hat sich die kleine Kathi blöderweise den Fuß angeknackst oder wurde sonstwie verletzt, so dass Holger sie eine Weile Huckepack trägt, bevor ein geeignetes Nachtlager entdeckt wurde.

Gerechnet auf 24 Stunden hat Holger also 6 Stunden lang 0,8kcal (pro Kilo – schreib ich jetzt nicht jedes Mal dazu) verbraucht, 9 Stunden mit 1kcal (Wache und Mittagspause), 6 Stunden mit 1,2kcal (moderates Gepäck), 2 Stunden mit 1,4kcal (Kathi tragen – Holger ist ja ein kräftiges Kerlchen) und 1 Stunde mit 1,6kcal (Sprints und Kampf). Damit verbraucht Holger an diesem Tag genau 2540kcal, also 140kcal mehr als sonst – man sieht demnach, dass der Durchschnitt von 24kcal/Kilo völlig ausreicht und man nicht noch mehr ins Detail gehen muss, denn ungefähr so dürfte ein Durchnittstag wohl aussehen und die Variablen sind nicht so hoch einzustufen. Kann man aber trotzdem machen, wenn man will – bei Abenteuern in der Wildnis, bei hohen Temperaturen und/oder Luftfeuchte, bei lang andauernder Anstrengung durch schwere Lasten und so weiter mag sowas Sinn ergeben.

Upgrade für Erkrankungen, Wunden und Infektionen

Mit realistischen Daten zu arbeiten, hat tatsächlich einen Vorteil, nämlich in Bezug auf Erkrankungen, Wunden und Infektionen. Die Handhabung von denen finde ich vielfach nicht besonders gut ausgearbeitet. In Regelwerken finden sich dann Angaben wie “Der Charakter heilt x Schaden in x Tagen oder y Schaden in y Tagen. Falls medizinische Gerätschaften oder eine Klinik erreichbar sind, kann man von z geheiltem Schaden in z Tagen/2 ausgehen” oder irgendwie sowas. Erkrankungen geben zumeist bestimmte Mali für einen (meist nicht so genau) festgelegten Zeitraum oder bis zum Erlangen des Gegenmittels, das war es dann oftmals schon. Der Rest ist dann Rollenspiel, also es liegt am Spieler darzustellen, sich gerade mal krank/verletzt zu fühlen, am Spielleiter, ein Auge darauf zu haben, dass derlei nicht vergessen wird und an den restlichen Mitspielern, darauf angemessen besorgt oder genervt zu reagieren.

Tatsächlich könnte man hier jedoch ebenfalls oben genannte Formeln und sonstige Details aus der Ernährungslehre einfließen lassen. Wer nämlich Fieber hat oder schwerer erkrankt ist, oder wer moderat erkrankt ist, jedoch nicht zum Ausruhen kommt, den kann man pauschal bei 1,4kcal/Kilo einordnen. Bei hohem Fieber und großflächigeren, etwas tieferen oder gar infizierten Wunden darf dieser Wert direkt mal auf 1,6kcal angehoben werden. Da wäre Holger dann gleich mal bei 3300kcal – 3800kcal, und zwar ohne sich dabei noch über Gebühr anzustrengen. Wenn er dann noch versuchen würde, Sprints einzulegen, Kämpfe auszutragen oder sonst etwas, kämen nicht nur entsprechende Mali zum Einsatz, sondern man kann dann den einen oder anderen Hunderter an Kalorien noch drauflegen, insofern er logisch gesehen zu solchen Aktionen überhaupt noch in der Lage ist. Das hebt seinen Bedarf also verglichen zum realistischen Durchschnittsbedarf um 900-1400kcal pro Tag an. Die müssen erst mal rangeschafft werden. Und wenn sie dann da sein sollten, muss man die erst mal in Holger rein kriegen, denn man weiß ja, dass der Appetit eines Kranken nicht gerade ausgeprägt ist. Also klaut man besser mal Popcorn als Gemüsekonserven …

Bei Fieber und Durchfällen (das wäre noch mal ein Thema für sich *g*) steigt auch der Flüssigkeitsbedarf deutlich an, was ebenfalls zu berücksichtigen wäre. Da Holgers Kalorienbedarf so hoch ist, gibt man hier mal besser die hochkalorische Cola statt Wasser (und schon sind wir dem Geheimnis von Omas Tipp “Cola und Salzstangen bei Durchfall” einen Schritt näher gekommen). Es fehlt zudem an Elektrolyten (zum Beispiel Salz – noch ein Dank an die Omas dieser Welt, außerdem Magnesium, Kalium, Calcium …). Und zur Wundheilung zwingend erforderlich ist Eiweiß. Eiweiß ist zwar nicht so energiereich (= kalorienreich) wie Zucker, aber der Körper braucht die Aminosäuren, um neues Gewebe aufzubauen, kurz gesagt. So, und da wäre ich mal gespannt, wie Spieler(charaktere) auf Eiweiß achten, falls einer von ihnen solche Kenntnisse überhaupt besitzt. Wahrscheinlich suchen alle spontan nach Eiern oder bestechen die nächstbeste Kuh oder Ziege. Dabei gingen auch Hülsenfrüchte hervorragend … aber jetzt verliere ich mich irgendwie in Details. 😉

Bon appetit!

Bis zum Schreiben dieses Artikels ist mir noch gar nicht aufgefallen, was man nicht alles anstellen kann, wenn man Hunger, Durst und Co. irgendwie konkret ins Rollenspiel bringen will, vor allem dann, wenn es etwas realistisch(er) sein darf. Ob das irgendein Mensch braucht oder haben will, ist eine andere Frage, aber mir hat es auf jeden Fall mal Spaß gemacht, ihn zu schreiben. In diesem Sinne: Wohl bekomm’s!