Emotion im Rollenspiel: Hass

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Schon Anfang des Jahres hatten die Teilzeithelden eine Artikelreihe, die sich mit Emotionen im Rollenspiel beschäftigte. Im August ist „Emotion im Rollenspiel“ der Aufhänger für den Karneval der Rollenspielblogs und wird vom Tagschatten-Blog organisiert.

Rollenspiel ohne Emotionen geht für mich persönlich gar nicht, darum hoffe ich, mich auch mit einigen Artikeln am Karneval beteiligen zu können zeitlich. Für den Anfang probiere ich es mal mit dem Thema Hass.

Zu diesem Thema gibt es bei den Teilzeithelden ebenfalls einen lesenswerten Artikel. In diesem finden sich gleich mehrere Beispiele für Aufhänger dieser Emotion, und zwar nicht mal primär bezogen auf das Rollenspiel selbst, sondern der Realität sowie diverser Literatur und Filmen entnommen – in ziemlich guter Auswahl, wie ich finde!

Aber mal ganz abgesehen davon, dass für mich „Rage“ oder zu deutsch „Zorn“ der Werwölfe nicht in die Kategorie Hass gehört, dachte ich, den Artikel kann man sicher noch um ein paar Punkte quasi mit einem eigenen Artikel ergänzen.

Hassende SC

Hassende Spielercharaktere halte ich grundsätzlich erst mal immer für gefährlich (dazu später mehr), was nicht heißt, dass ich sie nicht zulassen würde. Im Gegenteil sogar können sie das Salz in der Suppe sein, doch die Bedeutung von Hass wird aus meiner Sicht total unterbewertet. Das liegt einerseits an Spielern, die es schlicht besonders simpel oder auch besonders cool finden, wenn ihr Charakter irgendwen besonders hasst. Je nach System ist der Hass oftmals das Pendant zu „Ihr seid in der Taverne, als jemand auf euch zukommt und einen Auftrag für euch hat“. Viele Systeme fördern Hass als Motivator sogar noch, indem sie ihn bei Vorabüberlegungen zum Charakter im Regelwerk vorschlagen oder einen (oder gleich mehrere) Nachteile ermöglichen wie „Persönlicher Feind“ und solcherlei. Man bekommt also quasi Punkte, die man für die Verbesserung seines Charakters einsetzen kann dafür, dass man jemanden hasst. Ich glaube, dass genau diese Optionen nicht selten der Grund dafür sind, warum das Ausspielen von Hass von so vielen als unbefriedigend erlebt wird.

Es reicht einfach nicht zu sagen „Ich hass den halt“, um der Emotion auch nur halbwegs gerecht zu werden. Zu Hass gehört immer eine Geschichte, und wohl nur in Ausnahmefällen ist das eine kurze. Dazu gehört eine bestimmte intensive Prägung, eine ausladende entsprechende Doktrin oder persönliche Erfahrungen, bei denen sich bestimmte Ereignisse wie Erniedrigung oft wiederholten oder es ein besonders traumatisches Erlebnis gab. Hass ist intensiv, und das ist er am Spieltisch meist nicht.

Ein Beispiel aus Shadowrun wären „Metamenschenhasser“. Im Grunde handelt es sich dabei praktisch gesehen grundsätzlich um eine Abneigung. Der Charakter hat vielleicht schlechte Erfahrungen mit verschiedenen Metamenschen gemacht, wurde vielleicht zu Hause mit allerhand Aberglaube überschüttet, ist vorurteilsbeladen und sieht gar nicht ein, sein Lieblings-Starbucks mit dem Troll von nebenan zu teilen. Hier spielen meist vielmehr Ängste eine Rolle. Aktiv ist die Abneigung, wenn der Charakter sich beispielsweise dafür engagiert, dass Metamenschen eben nicht dieselben Rechte haben oder bekommen, dass ihnen Ghettobauten zugewiesen werden, dass sie keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt bekommen, dass sie keine separaten Toiletten oder entsprechende Benutzungshilfen in öffentlichen Gebäuden bekommen und all sowas. In Hass wandelt sich all das aber im Grunde erst dann, wenn der Charakter bereit ist, Grenzen zu überschreiten. Wenn er gegen Metamenschen auf die Straße geht, große Reden schwingt, die Leute anstachelt, polemische Flyer verteilt, lautstark einen Raum verlässt, in dem sich ein Metamensch befindet oder handgreiflich wird, ob nun mit seinem Körper, Steinen, Molotow-Cocktails oder was auch immer.

Out of control

Was hassende SC so gefährlich macht, ist das für mich wichtigste Merkmal des Hasses: ein gewisser Kontrollverlust. Wer wirklich hasst, verlässt – wie bei jeder starken Emotion – den Bereich des Rationalen. Das muss nicht zwingend bedeuten, dass es zum Kampf oder gar zum Mord kommt, wie ja bereits der Teilzeithelden-Artikel sehr schön dargelegt hat. Aber auf jeden Fall wird Hass von einem irrationalen Tunnelblick begleitet, und ob nun körperlich ausgelebt oder nicht: Für den Spieltisch ist das kritisch.

Die Beispiele aus Literatur und Film haben nämlich ein ganz besonderes Merkmal: Die hassenden Figuren stehen für sich allein. Natürlich gibt es Nebenschauplätze und Nebenfiguren, aber sie dienen in erster Linie dazu, den Hass der Hauptfigur zu nähren, sein Ausleben, seine Umsetzung, vielleicht seine Rache zu ermöglichen und ihr noch mehr greifbare Lebendigkeit zu geben. Kapitän Ahab in der Nussschale wie „Der alte Mann und das Meer“, das funktioniert nicht (ja, bei Hemingway geht es um ganz andere Themen und Santiago hat da davon abgesehen auch tüchtig gekämpft, aber ich beziehe das hier auf die gegebenen Größenordnungen).

Für Solo-Spiele ist sowas also durchaus geeignet und kann sehr spannend werden, aber im Gruppenspiel wird das meistens nichts. Es führt dazu, dass ein Charakter, nämlich der hassende, unweigerlich den Ton angibt oder es versucht, es durch diese Besessenheit – ebenfalls eine typische Begleiterscheinung des Hasses – eventuell sogar noch zu Unstimmigkeiten innerhalb der SC kommt, und auch da wäre es möglich, dass das Ganze im Extremfall in PvP ausartet (was natürlich auch gewollt sein kann). Es wird ein Spotlight in Form eines Pulverfasses geöffnet, das sehr schnell Abend füllend oder Abend killend wird.

Und da Hass immer begleitet wird von einem hohen Gewaltpotenzial, und zwar gerade im Rollenspiel, in dem Kämpfe ohnehin systemunabhängig eine meist höhere Relevanz haben als soziale Auseinandersetzungen, Recherchen und so weiter, können Szenen mit dem Objekt des Hasses auch fix und unemotional ihr Ende finden. Man stürzt sich einfach auf den Gegner und versucht ihn zu töten beispielsweise. Damit generiert man dann wenig epische oder emotionale Situationen, sondern eher den Filmklassiker, in dem der Bösewicht noch eben zu einer großen Rede ansetzt, um seine Welteroberungspläne darzulegen – und währenddessen dann ins Gras beißt. Irgendwie eher ein Kalauer mittlerweile, oder?

An der Stelle beißen sich dann aber auch Inplay- und Outplay-Wissen nicht selten in den Schwanz, denn während der hassende Charakter vielleicht wirklich blindlings und ohne Rücksicht auf Verluste in den Kampf stürzen würde, ist der Spieler durchaus in der Lage zu erkennen, dass das womöglich ein Selbstmordkommando sein könnte – und lässt es dann irgendwie doch sein. Auch keine optimale Lösung.

Hass und Kooperation

Die meiner Meinung nach einzige Möglichkeit, Hass gewinnbringend ins Gruppenspiel einzubringen ist die, allen SC dasselbe Ziel vorzusetzen.

Die schlechteste Möglichkeit ist die, der Gruppe tatsächlich den persönlichen Feind eines Einzelnen vorzusetzen. Hier greifen dann nur hohe Spielerkooperation, riesige Loyalität zum hassenden SC und entsprechende Bereitschaft, diesem über einen größeren Zeitraum hinweg Spotlight zu geben. Eignet sich für den Höhepunkt einer Kampagne am ehesten und da für nicht mehr als eine Session im Grunde, sonst langweilen sich nämlich alle anderen Spieler zu Tode.

Die nächste Möglichkeit ist, allen Charakteren – am besten sogar von vornherein, muss aber nicht – denselben „Hass-Typus“ zu geben. Es geht also nicht um eine Person, sondern um eine bestimmte Sache, einen bestimmten Konzern, eine bestimmte Herrschaftsform oder etwas in der Art. White Wolf hat diese Option damals mit dem Sabbat beispielsweise in die „Vampire: The Masquerade“-Reihe eingebracht. Und wer den Sabbat kennt, der hat gleich ein besseres Bild vor Augen, was ich meine, wenn ich von der Nähe von Hass und Gewalt, von Hass und Kontrollverlust und so etwas schreibe. Im Sabbat-Handbuch werden reichlich Informationen gegeben zu Hintergründen, zu Ideologien, zu Ritualen und all solchen Dingen. Und schaut man sich Sabbat-Spielrunden mal an, so wird man kaum mal irgendwas von all dem finden, sondern nur Hass und Zerstörung, weil man es kann und weil es Spaß macht. Klar, kann man so machen, wenn das alle so haben wollen und das ihre Antriebsfeder ist. Für mich ist das nichts, weil ich finde, dass es der Emotion Hass nicht gerecht wird. „Weil ich es kann“, „Weil ich cool bin“, „Weil ich da total viele Würfel habe“ und „Ich hass den halt“ sorgt nie dafür, dass man der Emotion gerecht wird und sie wirklich glaubhaft und nachvollziehbar im Spiel ist.

Und die beste Möglichkeit ist die, den Hass über einen längeren Zeitraum zu schüren, also ebenfalls etwas, was sich an Kampagnenspieler richtet. Einen solchen NSC hat beispielsweise unser SL in der Vampire-Dark-Ages-Runde kreiert und, das muss ich an dieser Stelle einfach mal sagen: Ich finde es absolut perfekt, wie er das aufgebaut hat bislang. Das ist ein NSC, dessen Macht von vornherein jedem Charakter klar geworden ist, dem man also mit einer gewissen Vorsicht oder – auf Grund von Clanszugehörigkeit, Diableriemerkmalen, Verhalten – sowieso mit Vorurteilen begegnete. Er ist in den vergangenen 300 Jahren oder so immer wieder mal aufgetaucht, und er hat sich meistens mit den Charakteren unterhalten. Er hat Dinge von ihnen wissen wollen, Smalltalk betrieben, Angebote unterbreitet, sie verspottet … ganz unterschiedlich. Und im Verlauf der Zeit hat er sich den einen oder anderen Charakter geschnappt und ihm allein etwas angeboten oder weggenommen. Das Ganze wurde also zunehmend ein wenig mehr persönlich für einzelne. Er hat einem Charakter das (Un)leben gerettet und ihm unwahrscheinliche Möglichkeiten mit viel sprichwörtlichem Honig aufgezeigt und damit Vertrauen erlangt, einen für den SC ziemlich miesen Deal aushandeln können und ihn dennoch über etliche Jahrzehnte hinweg beinahe beliebig – und oft genug vom SC unbemerkt – benutzen können. Er hat Pläne der Charaktere vereitelt und damit sowie durch seinen Spott immer mal wieder die Antipathieschraube ein wenig höher gedreht. Er ist zu den unpassendsten Momenten immer mal wieder einfach aufgetaucht und hat damit alleine schon quasi genervt. Er hat Charaktere erfolgreich gegeneinander ausgespielt, hat untereinander Misstrauen gesät. Er hat einen Charakter erkranken lassen in einem Maße, dass die Suche nach Hilfe sich über einen urlangen Zeitraum und mit wenigen Chancen erstreckt, hat subtil agiert und an anderer Stelle relativ offen Assamiten, also Attentäter, auf die Charaktere losgelassen. Naja, der hat noch so einiges mehr veranstaltet, jedenfalls ist es jetzt, nach etwa 15 Monaten Spielzeit und etwa 30 Sessions so, dass eigentlich jeder am Tisch (Spieler wie Charakter) diesen NSC aus unterschiedlichen Gründen loswerden will. Bei einigen ist eine, ich sag mal schlichte, Abneigung noch immer vorherrschend, bei drei Charaktern hat sich das jedoch im Verlauf der Zeit, und zwar sogar aus unterschiedlichen Gründen, in Hass gewandelt. Und insgesamt ist das alles durchaus auch auf Spielerseite spürbar, auf Charakterseite sowieso. Man ist wirklich genervt, wenn der Typ wieder auftaucht, man regt sich wirklich über ihn auf und/oder ist sauer … ich halte das für ziemlich großes Kino.

Hassende NSC

Für NSC gilt im Prinzip das gleiche wie für die SC, was Motivation und Intensität betrifft, und doch ist hier alles ein bisschen einfacher – und zugleich schwerer.

Ein hassender NSC kann tatsächlich der Kategorie des klassischen Bösewichts angehören, der Marvel-mäßig irgendwas oder gleich alle vernichten will, Rache nehmen will. Also jemand, der von seinem Hass besessen ist, der alle Energie in die Erreichung seiner damit verbundenen Ziele steckt. So jemand kann ein äußerst gefährlicher Gegenr sein, ganz egal, ob sich sein Hass nun aus irgendeinem Grund gegen die Gruppen-SC richtet oder die SC ihn wegen eines Auftrags oder von mir aus dem Wunsch, die Welt zu retten, vernichten wollen. Sowas kann als Spielinhalt auch ganz spannend sein, wenn man eben nicht einfach hingehen und ihn vernichten kann, sondern jede Menge unterschiedlicher, aber notwendiger Vorbereitungen voran stellt.

Es gilt aber das gleiche für NSC wie für SC, was die Grundmerkmale angeht: Auch ein NSC ist auf seinen Hass fokussiert, was ihn gefährlich(er) macht, dennoch leidet auch er in aller Regel unter einem Tunnelblick und einer Bedingungslosigkeit, die ihm leicht zum Verhängnis werden kann. Leider erlebe ich es oft auch bei NSC, dass sie sich über diese Merkmale leicht hinwegsetzen können und dadurch kaum oder gar nicht abzulenken oder auszutricksen sind, sondern es beinahe zwangsläufig auf einen klassischen „Boss-Mob-Fight“ hinausläuft. Schade.

Von dem her, was hassende NSC auslösen können, sind sie meiner Ansicht nach übrigens relativ unspannend. Um noch mal oben beschriebenen NSC aufzugreifen: Das ist kein hassender NSC. Der hasst niemanden, zumindest nicht, dass ich davon wüsste. Dem ist abseits von seiner eigenen Person schlichtweg alles andere egal. Und das macht ihn um ein Vielfaches gefährlicher, weil er eben nicht emotional agiert, nicht von einem Tunnelblick gefangen wird. Und dennoch ist er nicht leblos (ist er natürlich schon, ist ja ein Vampir … ihr wisst schon, was ich meine), sondern hat sehr persönliche Ziele und Absichten, die er umgesetzt sehen will, krankt an einem ausgesprochenen Narzissmus und zugleich daran, eben nicht wirklich zu fühlen, sondern Gefühle nur nachzuvollziehen, mal mehr und mal weniger gut.

In einer Werwolf-Runde hingegen gibt es einen wichtigen und präsenten NSC, der vom Hass angetrieben wird. Aber auch der hat mit den Marvel-Villains nichts gemeinsam. Sein Hass entstand aus Verzweiflung, aus Trauer und aus Hilflosigkeit, und gerade letzteres ist unwahrscheinlich mächtig in Verbindung mit geschürtem Hass. Das alles macht ihn fremdartig und ebenfalls gefährlich, aber es macht ihn nicht einmal gänzlich unsympathisch. Er will die Welt reinigen von allem Übel, aber das nicht allein aus Hass, sondern auch aus Liebe zur Welt selbst. Und er will nicht zwingend alle Kreaturen der Erde ausradieren, sondern „nur“ die meisten von ihnen, setzt also Akzente. Dieser Hass ist subtil, ist zwar energisch und vermutlich unumkehrbar, aber er ist (noch) nicht offensiv brutal. Das macht es tatsächlich schwierig, mit diesem NSC umzugehen, sowohl als Spieler als auch als Charakter. Als Spieler weiß man im Grunde, dass er ein Bösewicht ist, doch als Charakter muss man anerkennen, dass sein Weg vielleicht falsch ist, seine Motivation aber auch für einen selbst durchaus nachvollziehbar. Was macht man mit so jemandem? Einfach umhauen ist da nicht das Mittel der Wahl. Kann man ihn umstimmen? Will man sich ihm vielleicht sogar anschließen? Versucht man zu verhandeln? Spart man sich besser die Energie für Gespräche und derlei und bereitet sich stattdessen besser doch auf einen Endkampf vor oder etwas in der Art? Dieser NSC wirft jede Menge Fragen auf, was Moral und Wertvorstellungen betrifft, bietet also genau durch die subtile Art zu hassen, jede Menge Mehrwert über diese einzelne Emotion hinaus, und auch das finde ich bislang sehr spannend und bestens ins Spiel gebracht.

Emotionale Homöopathie

Die meisten Emotionen lassen sich für’s Rollenspiel in zwei Kategorien einteilen, wodurch sie ihr größtes Potenzial entfalten: Geringe Dosis oder Fullpower.

Sicherlich muss man im Einzelnen schauen, was und wie gespielt und gewünscht wird, grundsätzlich zähle ich den Hass zu der Kategorie der geringen Dosis. Hier ein bisschen geschürt und da ein bisschen geschürt baut er sich glaubhafter, realistischer und nachspürbarer auf, die Begleiterscheinungen und Gefahren wie Gewaltausbrüche und Bedingungslosigkeit lassen sich so besser kontrollieren – beides gilt für SC und NSC gleichermaßen.