Gesinnungen … und die WoD, Teil 1

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Mit den klassischen Gesinnungen wie von D&D vorgegeben konnte ich noch nie viel anfangen. Ich seh das so ein bisschen wie Gelbe Zeichen und vielleicht auch ein bisschen wie die Lücke zwischen den beiden Sätzen bei d6ideas (auch wenn der erste Satz irgendwie schief ist?). Überhaupt habe ich überlegt, wie viele und welche Spiele ich kenne beziehungsweise selbst bespiele, bei denen man etwas zu Gesinnungen schreiben kann. Denn das ist immerhin das Thema des Karnevals der Rollenspielblogs für den Februar 2016.

Die World of Darkness hat im Grunde zwei unterschiedliche Ansätze, an denen man so etwas wie Gesinnungen (also eine Richtschnur für Moral- und Wertvorstellungen) festmachen kann. Entsprechend wird es auch zwei Artikel dazu geben, denn ich glaube, ein Artikel pro Ansatz wird schon lang genug.

Wesen und Verhalten

In der oWoD soll man für seinen Charakter eine kurze Beschreibung für Wesen (Nature) und Verhalten (Demeanor) festlegen, wobei Verhalten eben das ist, wie der Charakter sich nach außen gibt, derweil Wesen repräsentiert, wie es in seinem Inneren aussieht bzw. wie er insgeheim denkt. Geliefert werden dabei zahlreiche Beispiele, etwa Architekt, Bonvivant, Märtyrer und Kind.

An jeden dieser Archeytypen, wie man sie bezeichnet, ist eine Bedingung geknüpft, durch die man Willenskraft regenerieren kann.

Willenskraft wiederum kann man einsetzen, um bei einem Wurf einen automatischen Erfolg zu erzielen, um Wundabzüge für eine Runde zu ignorieren, die Manifestation einer Geistesstörung zu verhindern, um reflexive Aktionen zu verhindern (zum Beispiel als Vampir vor einem Sonneneinfall zurück zu schrecken) und für den Einsatz bestimmter übernatürlicher Fähigkeiten.

Ich persönlich fand diese Archetypen immer ein bisschen schwammig und unausgegoren. Es gibt darunter welche, die man ganz klar an gewissen Aktionen und Würfelerfolgen messen kann (z.B. jemanden einzuschüchtern, welche mit relativ schnell einzuschätzendem Erfolg (z.B. jemanden zu beschützen) und solche, über die man ellenlang diskutieren und ihren Erfolg schwer absehen kann (z.B. etwas von bleibendem Wert zu erschaffen).

Neben der Rückgewinnung von 1-3 Willenskraftpunkten durch die Archetypen kann man Willenskraft im Spiel auch durch Erholung/Schlaf regenerieren, am Ende eines Abenteuers (nicht einer Session!) sowie nach SL-Laune.

Das macht Willenskraft zu einer Ressource im Spiel, die prinzipiell häufig im Einsatz ist, aber nur stockend zurückgewonnen werden kann.

Einerseits haben diese Archetypen also zwar wenigstens eine tatsächlich greifbare Spielrelevanz (anders als bei D&D), andererseits sind die dadurch gegebenen Optionen teils wenig greifbar und launen- oder interpretationsabhängig.

Tugend und Laster

In der ersten Version der nWoD hat man die vorgenannten Archeypen komplett durch Tugend und Laster ersetzt. Für beide gibt es jeweils 7 Auswahloptionen (entsprechend den 7 Tödsünden bzw. Tugenden).

Auch hier dienen beide Aspekte der Rückgewinnung von Willenskraft, wobei sie unterschiedlich schwer wiegen. Durch das Anspielen einer Sünde erhält man einen Willenskraftpunkt zurück, durch das Anspielen einer Tugend (da schwerer umzusetzen) gleich alle.

Da es auf beiden Seiten jeweils sieben Aspekte zur Auswahl gibt, erscheint mir das System weniger schwammig. Ein paar Haken bringt es dennoch mit sich, denn auch diese Aspekte sind an Bedingungen geknüpft, die wiederum stets einen Bezug zum Nachteil des Charakters haben. Es reicht also beispielsweise nicht, jemandem zu helfen, sondern RAW muss man jemandem helfen UND dabei einen Nachteil erleiden, um den/die Willenskraftpunkt/e zu bekommen.

Durch diese Negativbedingung gerät man fix wieder in den Bereich des Diskutierens und der Interpretation, was ich schade finde, denn ohne diese Bedingung funktioniert das Ganze eigentlich recht gut.

Der Einsatz von Willenskraft im Spiel hat sich bei der nWoD ebenfalls etwas geändert: Für die Ausgabe eines Punktes kann man seinen Würfelpool um 3 Würfel erhöhen oder Widerstand/Entschlossenheit/Fassung/Verteidigung in einer Situation unter Druck um 2 Punkte erhöhen.

Die generellen Möglichkeiten zur Rückgewinnung von Willenskraft sind hingegen dieselben.

Abseits der Negativbedingung finde ich diese Aspekte schon merklich (be)spielbarer und halte sie für den Fluss von Willenskraftpunkten für sinnvoller.

Tugend und Laster PLUS

Mit einem Splatbook der nWoD, nämlich „Mirrors“ wurde die Idee des Creative World Buildings (optional) eingeführt. Diese Optionalregel ermöglicht die Ausgabe von Willenskraftpunkten zur Schaffung von kleineren Fakten im Spiel, womit Willenskraft nochmals eine größere Bedeutung zukommt (und die Rückgewinnung ebenfalls noch mal wichtiger wird).

In der nWoD-Version von Hunter (Hunter, the Vigil) sind zudem spezifische Möglichkeiten angegeben, Willenskraft zu riskieren. Dieses Element ist im Grunde das einzig wirklich spezielle bei den Jägern der nWoD, dennoch lohnt es sich meiner Ansicht und Erfahrung nach, diese Option auch der einen oder anderen Gruppe abseits von Hunter, the Vigil zu ermöglichen.

Wie es funktioniert: Man muss ansagen, dass man Willenskraft riskieren will und kann dies nur einmal pro Szene tun. Neben den üblichen Einsätzmöglichkeiten (+3 Würfel, +2 auf einen Defensivwert bei Bedrohung) hat man dann auch die Möglichkeit, einen Wurf schon mit 3 statt sonst 5 Erfolgen als spektakulär zu werten (mit entsprechenden zusätzlichen Positiveffekten) ODER aus dem üblichen 10again ein 9again zu machen, also sowohl eine 9 als auch 10 explodieren zu lassen.

In der nWoD würfelt man mit einem Pool aus W10. Jede 8-10 ist ein Erfolg, eine 10 explodiert, kann also erneut geworfen werden und einen oder mehrere weitere Erfolge generieren. Das bezeichnet man als 10again.

Gelingt dieser Risikowurf, gewinnt man 2 Willenskraftpunkte zurück (also den ausgegebenen PLUS einen weiteren), misslingt der Wurf, ist dies eine der in der nWoD seltenen Patzersituationen.

Der Vollständigkeit halber sei gesagt, dass Hunter, the Vigil noch ein paar weitere Besonderheiten auf Lager hat und dieser Auszug aus der erweiterten Willenskraftmechanik hier ein bisschen grob wiedergegeben ist, denn erlaubt ist dieser Risikowurf RAW nur, wenn der Wurf einen direkten Bezug zu den Gejagten hat und gewisse Sachen wie Giftwiderstand, Wahrnehmungwürfe usw. sind von dieser Zusatzregel ausgenommen.

Das ist – für sich genommen oder auch in Kombinationen mit Teilen der Mechanik aus Hunter, the Vigil – mein persönlicher Favorit unter der Voraussetzung, dass die Negativbedingungen von Tugend und Laster wegfallen oder großzügiger gehandhabt werden.

In diesem Buch finden sich übrigens auch Kapitel und Absätze zu Motivationen (die später in den Regelgrundstock als Aspirations aufgenommen wurden), Eigenkreationen von Tugenden und Lastern sowie dem Einpflegen von Nature/Demeanor (was beides später ebenfalls in den Regelgrundstock aufgenommen wurde) usw.

Tugend und Laster 1.5 …

Mit dem Buch „God Machine Chronicles“ wurden die Regeln der nWoD hier mehr und da weniger umgeschwurbelt. Den Regelteil dieses Buches gab es auch kostenlos zum Download, einige Varianten der „nWoD 2.0“ enthielten diese ebenfalls.

Grundsätzlich sind Tugend und Laster hier erhalten geblieben, allerdings hat man die straighte Linie von je sieben Aspekten hiermit wieder aufgeweicht. So kann man nicht nur Vorteile erwerben, durch die man ZWEI definierende Tugenden oder Laster haben kann, sondern man fordert den Spieler auch dazu auf, eigene Tugenden und Laster als treibende Kräfte zu erfinden. Natürlich gibt es auch eine Liste mit Vorschlägen, sowas wie loyal, friedlich, pessimistisch und arrogant.

Das Grundprinzip und die Anwendung ist dabei dieselbe wie zuvor, man fächert das Ganze nur wieder unklar auf, womit man sich zugleich auch wieder ein bisschen an diese verwaschene Wesen/Verhalten-Geschichte annähert.

… und Aspirations

Ebenfalls in dieser Version tauchten erstmals (in einem Grundregelwerk) die sogenannten Aspirations auf. Hierbei handelt es sich um persönliche Ziele des Charakters, die er zu erreichen versucht. Optimalerweise sollte stets ein kurz-, ein mittel- und ein langfristiges Ziel ausgewählt werden. Für die Erfüllung eines solchen Ziels erhält man eine alternative Erfahrungspunktvariante, genannt beats. Beats können wiederum in Erfahrungspunkte umgerechnet bzw. direkt zum Kauf von weiteren Punkten verwendet werden.

Grundsätzlich zählen sie an dieser Stelle nicht zu einem irgendwie gearteten Moralkomplex. Können sie aber und sind Teil der Basisdefinition eines Charakters und eben seiner Ziele, darum liste ich sie hier ebenfalls mit, auch wenn der Output ein anderer ist (s.u.).

Tugend und Laster 2.0 Chronicles of Darkness (CofD)

Alles wird neu … oder so. Jedenfalls erwartet die Spielerschaft ja irgendwann in diesem Jahr das erste neue Produkt aus der „One World of Darkness„-Reihe, aber wie das aussieht, weiß noch kein Mensch.

Alles, was zuvor als nWoD galt, heißt neuerdings offiziell allerdings „Chronicles of Darkness„.

Hier hat man Tugend und Laster wieder ein bisschen umgetauft; man bezeichnet sie nun korrekterweise als Anker. So ganz neu ist das nicht, denn die neuen Editionen der einzelnen nWoD-Reihen haben diese Anker bereits verwendet (und z.B. Wraith, the Oblivion aus der oWoD in etwas anderem Kontext noch mal sehr viel früher), allerdings in leicht anderer Form.

Vampire: Blood & Smoke (= nWoD 2.0 = CofD) erklärte beispielsweise bereits, dass Tugend (Virtue) und Laster (Vice) die Bezeichnung für sterbliche Charaktere sei, derweil Vampire Mask und Dirge verwenden; im Grunde also nix anderes als ein Neuaufguss des alten Wesen– und Verhalten-Dings in etwas moderner/strukturierter. Natürlich haben die anderen Reihen wiederum entsprechendes. Bei Werwolf, the Forsaken wären das stattdessen also Bleed und Bone.

Die sogenannten Aspirations (s.o.) aus der 1.5-Version sind erhalten geblieben und gehören bei der Charaktererschaffung nun zu den grundlegenden Schritten neben Konzept und noch vor irgendeiner Punkteverteilerei.

Alles klar!?

Zusammengefasst hat man also jetzt Virtue/Vice (oder Mask/Dirge oder Bleed/Bone etc.) zur Grobdefinition von „gut“ und „böse“ und mechanisch zur Wiedererlangung von Willenskraftpunkten im Spiel.

Hinzu gekommen ist im Verlauf der Zeit das Konzept der Aspirations, das teils durchaus auch einer Ausrichtung/Gesinnung entsprechen kann, aber ebenso durchaus banale bzw. nicht irgendwie bewertete Ziele umfasst. Anders als das vorgenannte werden hiermit auch keine Willenskraftpunkte regeneriert, sondern eine Art alternativer Erfahrungspunkte, sogenannte beats, erworben.

Für mich persönlich stellt das Ganze nur teilweise eine nach vorn gerichtete Spielentwicklung dar; teils kommt es mir eher wie eine Entwicklung im Kreis vor.

Damit sind wir auch noch lange nicht am Ende der Moral bei der World of Darkness angekommen (ist bei der Reihe ja auch ein total fancy Ding), aber dazu dann mehr im zweiten Artikel.