Präludien

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Ich bin mir da gar nicht sicher, aber ich vermute mal, dass Präludien eher aus der White Wolf-Ecke kommen, oder? Zumindest kenne ich diesen Fragenkatalog zur Vorgeschichte des Charakters abseits von irgendwelchen Werten auf dem Bogen vor allem von WoD-Systemen, derweil zumindest die anderen Systeme, die ich so kenne, solcherlei nicht „abfragen“ oder wenn, dann eher am Rande.

Nun reicht es eigentlich aus, wenn man sich ein paar Fragen zum Hintergrund des Charakters stellt. Man muss sie nicht mal aufschreiben. Man setzt die verteilten Werte einfach in Beziehung zu dem Charakter, den man spielen will, setzt ein paar Begründungen hinzu („Ist stark, weil …“, „Hohe Fingerfertigkeit, weil …“) und dann ist gut. Vielleicht ergänzt man noch ein paar Eckdaten zum engeren Familien- und Freundeskreis, überlegt sich was zur Motivation und dann hat man alles, was man braucht.

In der Form sind auch die vorgefertigten Charaktere beispielsweise bei „Manitou Springs“ angelegt. Da stehen ein typisches Zitat für den Charakter, ein paar Hintergrundinfos zur ersten Verwandlung und Familiensituation, typische Kleidung sowie Ausrüstungsgegenstände, ein paar Stärken und Schwächen, fertig. Das reicht vollauf und ist spielbar.

Aber …

Ein richtiges Präludium über mehrere Stunden im 1:1 gespielt habe ich erstmals 2011, seither jedoch bei fast jedem Charakter. Was mir aufgefallen ist:

  • So ein Präludium, das meist irgendwo im Alltag des Charakters einsetzt, diesen ein bisschen durchspielt, Familie und Freunde als NSC auftauchen lässt und schließlich zumeist auch verschiedene Konflikte (alltägliche sowie – bei der WoD – übernatürliche), kostet einige Stunden Zeit, doch das sind Stunden, die man sich nicht nehmen würde, wenn man einfach nur vor den Werten sitzt.
  • Durch die Kombination aus Alltag und Konflikten bekommt man einen besseren Bezug dazu, wie der Charakter „tickt“, erfindet spontan einige Macken oder Vorlieben, insgesamt bekommt der Charakter sehr viel mehr Tiefe
  • Da ein Präludium über Stunden hinweg meist eine ziemliche Intensität aufbaut, kommt man emotional viel leichter an den Charakter heran.

Wenn ich einen Charakter zu spielen beginne, der mit einem Präludium gestartet ist, kann ich mich sofort ganz auf die Umgebung, also die anderen SC und den Plot, konzentrieren. Der Rest braucht dann nur noch Minuten und dann bin ich auf Grund der Vorerfahrung im Präludium einfach „drin“. Bei einem Charakter ohne ein solches Präludium brauche ich so meine 2-3 Sessions meist, bis ich eine klarere Vorstellung von dem Charakter, seinen Wünschen, Zielen, Macken usw. habe und er dadurch nach und nach lebendiger wird. Ein Präludium kostet aus meiner Sicht also Zeit, spart diese letztlich im Spiel aber auch wieder ein bzw. kann maßgeblich mit dafür sorgen, dass schneller eine bestimmte Stimmung aufgebaut werden kann im Gruppenspiel, weil man sich eben nicht primär auf das eigene Spiel konzentriert, sondern vielmehr auf das der anderen und – wie schon genannt – die Umgebung.

Umgekehrt habe ich ebenso schon einige Präludien auf der SL-Seite erlebt, und auch die fand ich durchweg sehr hilfreich. Wichtige Punkte dabei:

  • Präludien sind ein Zeitfresser. Wenn man dieselbe Option 3-5 Leuten anbieten will, ist man ganz locker 10 Stunden oder mehr beschäftigt. Ich habe schon Präludien geleitet, die nach zwei Stunden rund und beendet waren, aber auch solche, die jeweils 6 Stunden gedauert haben. Warum das so ist, ist ganz unterschiedlich. Es kann sein, dass ich nach zwei Stunden noch immer das Gefühl habe, den Charakter mit nichts zu packen zu kriegen und dann abbreche, es kann sein, dass ich sechs Stunden durchhalte, um da doch noch ein bisschen mehr rauszukitzeln. Es kann genauso gut sein, dass es zu sechs Stunden kommt, weil die Dinge, die mein Gegenüber mir erzählt und darstellt, derart plastisch und spannend sind, dass ich einfach gar keine Lust habe, damit aufzuhören.
  • Oft ist es so, dass der Charakter, wie ich ihn im Präludium erlebe, nicht der Charakter ist, von dem ich auf Grund von Werten oder Hintergrundgeschichte ausgegangen bin. Vielleicht ist er schüchterner als gedacht, vielleicht sehr viel gewitzter oder forscher, vielleicht entdeckt der Spieler mittendrin, dass es da diese Sammelleidenschaft für rosa Plüschhasen gibt oder weiß der Geier, auf jeden Fall ist es meist sehr spannend zu sehen, welche Sachen den Charakter – und damit auf jeden Fall den Spieler – besonders interessieren, worauf er besonders „anspringt“ oder wie er Probleme, die sich stellen, zu lösen versucht. Das ist im späteren Spielverlauf für mich total wichtig, weil ich die einzelnen Leute dann für sich genommen viel besser einschätzen kann, sowohl Charaktere als auch Spieler, was es wiederum leichter macht, Dinge ins Gruppenspiel zu bringen, von denen ich dann auch weiß, dass sie angenommen werden – oder zumindest davon ausgehen kann.

Was ich auch schon öfters gemacht (aber bislang nur einmal gespielt) habe, sind Gruppenpräludien. Meist verläuft das so, dass jeder Charakter nacheinander einzelne Szenen von etwa 10-20min. Länge bekommt, bis die Fäden dann langsam zusammenlaufen, sich die Gruppe trifft oder vielleicht erst mal nur zwei oder drei von ihnen, bis schließlich ein gemeinsamer Konflikt ins Spiel kommt, den es quasi im „Erstkontakt“ gemeinsam zu lösen gilt. Diese Form finde ich nicht schlecht, sie rechnet sich aber nicht wirklich. In nun wirklich jedem Spiel muss die Gruppe irgendwie zueinander finden, dazu braucht es nun kein Extra-Präludium. Entscheidend ist da tatsächlich, dass die Zeit für die einzelnen Spieler fehlt, um an die vorgenannte Tiefe zu kommen. Sinnvoll sind solche „Gruppenpräludien“ gerade in WoD-Systemen für Einführungsrunden, ansonsten lassen sie an Mehrwert meiner Meinung nach eher vermissen.

Also: Wer Zeit und Lust hat, mit einzelnen Spielern vorab solch ein Präludium zu spielen – ich kann das nur empfehlen.